Die Chemtrail-Entschwörung: Ein Appell zur Wirklichkeit

Anmerkung: Dieser Text wurde uns von einer Person, die in der Luftfahrtbranche beschäftigt ist, zugeschickt. Vielen Dank für das Recht auf Veröffentlichung.

Die folgende Abhandlung beschäftigt sich mit Argumentationsmustern von Verschwörungstheorien und deren psychologischen Mechanismen. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie ein unvernünftiges Gedankenkonstrukt alleine durch seinen logischen Aufbau entlarvt werden kann. Ich bin der Meinung, dass sich reale, greifbare Vorgänge niemals ausschließlich mit konspirativen Erklärungsmustern belegen lassen; dass dies vielmehr ein Anzeichen von unausgereiften oder fiktiven Dingen ist und sozusagen im Umkehrschluss die Unwahrheit der behaupteten Sache nahe gelegt werden kann. Anlass zu folgendem Text gab eine eigentlich gebildete Freundin, die in einem bekannten sozialen Netzwerk überraschenderweise auf sogenannte „Chemtrails“ zu sprechen kam, weswegen das Thema exemplarisch an der „Chemtrail-Verschwörung“ abgearbeitet wird. Aus einem Kommentar hierzu, den ich erst für mich behielt und in meiner Freizeit immer weiter ausbaute, erwuchs der Spaß am Schreiben und Recherchieren. Dies soll keine streng wissenschaftliche Arbeit sein, sondern ein Beleuchtungs- und Erklärungsversuch, der die immer wiederkehrenden Muster von Verschwörungstheorien zum Gegenstand hat. Als Quelle dienen öffentlich zugängliche Medien (dieselben, die auch die Anhänger der angesprochenen Theorien nutzen). Ziel des Textes ist nicht zuletzt, die Chemtrail-Verschwörung anhand von einfacher Logik (und mit begrenzten Hintergrundinformationen) als Ausgeburt der Fantasie zu entlarven. Fast wichtiger erscheint aber, dabei die „Natur“ von Verschwörungstheorien zu analysieren. Hierfür wird auch, aber nicht ausschließlich, auf von der Anhängerschaft der Theorie vorgebrachte „Beweise“ eingegangen.

Die Chemtrail-Verschwörung geht davon aus, dass durch kommerziell genutzte Verkehrsflugzeuge Chemikalien in die Atmosphäre ausgebracht werden, durch welche am Himmel stehende Kondensstreifen Zeugnis geben. Weder die genaue Durchführung noch deren Zielsetzung wird von Anhängern der Theorie einheitlich erklärt.

Um zu bewerten, ob über ein bestimmtes Thema die Wahrheit gesagt wird, ist detailliertes Wissen die beste Versicherung. Leider ist es nicht Möglich, zu allem und jedem Fachkompetent zu sein. Eine hilfreiche Alternative ist es aber, die Argumentationsstruktur zu analysieren. Werden bestimmte Dinge weggelassen oder bewusst vereinfacht? Wird Kritik akzeptiert oder nicht? Kann die Person glaubwürdig machen, woher sie ihre Informationen hat oder Qualifikationen nachweisen? Sind die Argumente sinnig, oder handelt es sich um einen Zirkelschluss?

Argumentationsmuster von Verschwörungstheoretikern sind unter anderem, aber nicht ausschließlich:

Wissenschaftliche Aspekte:

– Arbeiten mit Halbwahrheiten; Ausschließen von Kontext (Beispiel: Einzelbilder von Feuerlöschflugzeugen im Einsatz auf Chemtrail-Seiten).
– Ablehnung von Kritik (Beispiel: „Wer anderer Meinung ist, ist selbst manipuliert oder gehört zu den Verschwörern“).
– Doppelte Standards bei der Bewertung von Quellen (Beispiel: „Wenn ein Pilot im Fernsehen Chemtrails negiert, ist das gelogen. Wenn ein Pilot im Fernsehen Chemtrails zugibt, ist das ein Beweis“).
– Stets unseriöse oder keine Quellen (Kopp-Verlag, Alien-news, Youtube-Videos etc.). Quellen werden selten hinterfragt.
– Manipulierung von Quellen (Beispiel: selbsternannte „Piloten, Mediziner, Experten“ entpuppen sich als Scharlatane ohne Qualifikation).
– Selektive Wahrnehmung bei der Aufnahme von Informationen – Wechsel des Standpunktes, wenn es argumentativ Vorteilhaft erscheint (Beispiel: „Chemtrails werden über die Triebwerke ausgebracht. Bilder, auf denen Stoffe auf eindeutig andere Weise abgegeben werden, sind trotzdem ein Beweis für dieselbe Theorie“). Auf Widersprüche wird nicht eingegangen. Die Verschwörungstheorie ist stets unspezifiziert, es ist immer ein Ausweichen auf andere Gedankenmodelle möglich.

Zum Vergleich: Wissenschaftliches Arbeiten setzt Quellenangaben, Wiederhol- und Nachprüfbarkeit von Versuchen sowie Einbindung von widersprüchlichen Informationen voraus. Wird eine Theorie verfolgt, dann bleibt man dabei, bis sie entweder be- oder widerlegt ist. Der Zufluss von neuen Informationen führt dazu, dass der eigene Standpunkt überdacht wird. Damit haben wir in der Vorgehensweise der Verschwörungstheoretiker das Gegenteil von „Wissenschaft“ per Definition!

Psychologische Aspekte:

– Bedienen von Hoffnung, Instinkten und Angst (nicht von Logik und Vernunft).
– Entbindung von der Verantwortung des eigenen Handelns.
– Abschottung zur Realität. Unspezifische Verknüpfungen zu anderen Verschwörungstheorien möglich.

Aspekte über die Auswirkungen im Betrachter:

– Einfache Lösungen für komplexe Probleme.
– Die Lösung läuft darauf hinaus, bestimmte Menschengruppen zu benachteiligen. Viele Verschwörungstheorien führen auf lange Sicht in den Antisemitismus, da in der westlichen Hemisphere das Judentum seit jeher als Sündenbock festgesetzt ist.
– Unterteilung der Welt in Schwarz und Weiß.
– Die eigene Seite wird als die Sache aller Aufrichtigen dargestellt, das eigene Handeln als Alternativlos.

Der größte Feind der Konspiration ist das Fachwissen. Es ist eines der typischen Merkmale von Massenmanipulatoren, mit Halbwahrheiten zu arbeiten, die einen mehr oder weniger sichtbaren Bezug auf die Lebensrealität haben, deren exakte Erklärung aber Expertise voraussetzt. Anders gesagt: es wird ein tatsächliches Ereignis besprochen, aber mit einer gewagten Schlussfolgerung versehen. Der unbedarfte Rezipient kann beides bald nicht mehr auseinander halten. Deswegen finden sich unter den Anhängern vor allem solche ohne Vorbildung, während Experten mit den Augen rollen. Das Verschwörungstheorien so biegsam sind (aufgrund unbelastbarer Nachweise), dass jedem eine eigene Auslegung der Wirklichkeit erlaubt ist, ist ebenfalls ein nennenswerter Punkt. Im Falle der Chemtrailtheorie wären Kenntnisse der Meteorologie, Luftfahrt oder Physik das Fundament zur Aufklärung.

Kondensstreifen entstehen prinzipiell dadurch, das warme Motorenabgase in den extrem kalten Luftschichten der oberen Troposphäre kondensieren und das noch enthaltene Wasser, ausfällt (kalte Luft hält weniger Feuchtigkeit als warme Luft; hier spielen auch Sand/Staub/Abgaspartikel, die als Kondensationskerne fungieren, eine Rolle). Im Grunde produziert jede_r selbst „Kondensstreifen“, wenn man im Winter ausatmet. Schornsteine, Auspuffe, kochendes Wasser – vom Prinzip alles dasselbe. Kondensstreifen gibt es seit langem, auch unabhängig von Flugzeugantrieben (zum Beispiel an sehr schnellen Flugzeugen im Kurvenflug ( –> Abkühlung durch Druckabfall auf der Tragflächenoberseite)) und in anderen Zusammenhängen, ohne das je jemand etwas gesagt hat. Luftbildaufnahmen aus den 40er Jahren zeigen wilde Streifenmuster über London nach Luftkämpfen. Tatsächlich angedacht wurde die Möglichkeit der Wetterbeeinflussung im „Welsbach-Patent“ von 1991. Die Theorie der „Chemtrails“ kam vermutlich erstmals gegen 1996 als Reaktion auf ein Papier der USAF auf, das hierauf aufbauend die theoretische Möglichkeit von Wettermanipulation in ferner Zukunft zum Thema hatte. Dieser Ansatz wurde von Art Bell, einem Radiomoderator und anderen selbsternannten „Investigativen Journalisten“, die ihre Absatzzahlen durch reißerische Stories aufwerten wollten, verbreitet. In nächtlichen Radioshows, sozusagen den Vorläufern von „X-Faktor“, in denen auch von UFO’s und Telekinese die Rede war, wurde der Ansatz der Chemtrails zum ersten Mal vorgetragen und unter Gesichtspunkten der Unterhaltung bzw. Science-Fiction inhaltlich ausgearbeitet.

Am Anfang haben die Befürworter größtenteils behauptet, alle Kondenstreifen seien chemisch versetzt. Inzwischen ist – vermutlich als Reaktion auf die doch eindeutige Realität – allgemeiner Konsens, dass Kondensstreifen nicht in jedem Fall auch Chemikalien enthalten müssen und man die kontaminierten „Chemtrails“ am breiten Ausfächern oder an der langen Verweildauer am Himmel erkenne.

Ein Gegenbeweis: Schon im 2. Weltkrieg gab es diese „langen und haltbaren“ Streifen, die einfach mit den Verhältnissen der Luftschichten zu tun haben (Temperatur, Wind und Luftfeuchtigkeit, die sich auch mit Höhe und Wettersystemverlauf ändern). Bilder der Luftschlacht um England belegen, dass es beide Arten der Kondensstreifen schon immer gab, produziert von Menschen, die weder Platz für Chemikalientanks in ihren Flugzeugen noch das heutige Hintergrundwissen über die assoziierten Vorgänge in der Atmosphäre hatten.

Es haben sich aus den unterschiedlichsten Behauptungen drei „Haupttheorien“ entwickelt, mit denen das Ziel der Verschwörung erklärt werden soll:

1) Ausbringung von Chemikalien zur Beeinträchtigung der Landwirtschaft – Sicherstellung der Vorherrschaftsstellung von Konzernen wie Monsanto, die mit bereits heute patentierten, genmanipulierten Pflanzen die alleinige Vormachtsrolle der Zukunft beanspruchten.

2) Ausbringung von Chemikalien in die Ozonschicht, um dem Treibhauseffekt entgegenzuwirken (Wettermanipulation im weitesten Sinne, aber auch Kriegsführung durch Umweltbeeinflußung).

3) Vergiftung der Bevölkerung im Interesse der Pharmaindustrie (in Kombination mit den ersten beiden, gerne auch mit esoterischen Ansätzen. Beispiel: „Modifikation der ganzen Atmosphäre, um Lebensbedingungen für außerirdische Wesen zu schaffen, welche sich auf der Erde ansiedeln wollen und bereits in Kontakt mit der Regierung stehen“. Hier sehe ich mich zum ersten Mal zu einer Anmerkung gezwungen: Das ist kein Witz!).

Kaum ein Vertreter der Chemtrailtheorie ist auf eine Hypothese festgelegt und kann in den Argumentationsweisen wechseln, sollte ein Gegenargument zu gewichtig sein. Allerdings ist keine von diesen, entgegen der geläufigen Behauptung, mit gewöhnlichen Verkehrsflugzeugen realisierbar, obwohl dies der Hauptansatz der Verschwörungstheorie ist. Wo sollte sich z.B. der Chemikalientank befinden? Im Flügel & Rumpf eines Airliners ist nicht mehr genug Platz, um die doch ordentliche, notwendige Menge an Ausbringmaterial zu lagern. Zudem wären alle Blaupausen aus Lehrbüchern und dem Internet gefälscht (immerhin noch Möglich) und die darauf aufbauende Masse & Schwerpunkt Kalkulationen wären verschoben (gefährlich). Generell ist die Ausbringung im Sinne der Chemtrailtheorie nur über die Triebwerke selbst möglich, da eine Ausbringung durch eigene Ventile Muster außerhalb der Motorenabgase erzeugen würde. Hiervon wurde aber nie gesprochen. So einigten sich viele Anhänger nun darauf, die Chemie sei im Kerosin selbst (wovon auch das Welsbach-Patent ausgeht). Nur so könne die geforderte Menge untergebracht und an die Umwelt abgegeben werden. Hier fängt es allerdings endgültig an, verwirrend zu werden, denn hier sind die Theorien absolut nicht mehr homogen. Im Gespräch sind unterschiedlichste Stoffe, u.a. Aluminium- und Barium-Verbindungen, Antimon, Arsen, Cadmium, Mangan, Zink sowie Viren, Schimmelpilze und Mikrochips (Ich muss mich wiederholen: Das ist kein Witz). Betrachten wir diese Vorgänge im Ganzen:

Wenn Additive im Benzin sind, gelangen sie auch durch die Brennkammer und werden dadurch vernichtet (im Falle von biologischen Stoffen; bei mineralischen oder eisenhaltigen Verbindungen läuft der Motor Gefahr, zu verschleißen (Schmelzpunkt von z.B. Aluminium 660°/ Barium 730°, Temperatur in einer Jetturbine über 1600°)).

Ein weiterer Gegenbeweis: Metallische Verbindungen wie Aluminium- und Bariumbasierte sind nicht in gebräuchlichem (Luftfahrt)Treibstoff löslich.

Gegenargument: Darüber hinaus gibt es keine Belege oder Erkenntnisse, dass die angesprochenen Chemikalien überhaupt eine Wirkung auf Wolken oder Abgasspuren haben (wie beispielsweise, diese länger und haltbarer zu machen).

Es ist doch bemerkenswert, wie viel wir hier schon mit einfacher Logik und sehr begrenztem Verständnis von technischen Vorgängen erreichen können. Im Falle des versetzten Benzins würde bei laufendem Motor ununterbrochen etwas ausgestoßen werden, also auch bevor und nachdem Kondensmuster entstehen. Die silbernen Streifen müssten in diesem Fall vom Start bis zur Landung zu sehen sein (1). Wie viele Flugzeuge wären überhaupt nötig, um ganz Europa flächendeckend zu besprühen? Manchmal hilft schon ein wenig „common sense“, um eine Lüge zu enttarnen. Sieht man nur das, was man sehen möchte, erkennt man aber nur die Hälfte.

Es gibt noch andere Gründe, weswegen es schlicht und ergreifend unlogisch wäre. Wieso beobachtet man „Chemtrails“ über dem Ozean? Was wird da besprüht? Wie bringt man die ständig wechselnden Bodencrews dazu, geschlossenes Schweigen zu bewahren, wenn beim Vorflugcheck auf einmal weitere Auslassventile auftauchen? Sicher, es gibt Gruppendisziplin in beruflichen Abhängigkeitsverhältnissen, aber eine unüberschaubare Zahl an Fluggerätemechanikern in aller Herren Länder ist keine Spezialeinheit mit Ehrenkodex. Gäbe es nicht auch viel effektivere Methoden, eine Substanz über einem Acker aus zu bringen? Oder geht es doch um Manipulationen der Ozonschicht? Leider hat noch kein Verschwörungstheoretiker die max. Flughöhen von Airbus & Co mit der durchschnittlichen Höhe der Ozonschicht verglichen (2). Und ließe sich ein wachsendes Auftreten von Kondensstreifen nicht auch dadurch erklären, dass immer mehr Flugzeuge betrieben werden?

Sehen wir uns einmal die „Beweise“ für Chemtrails näher an. Das Internet ist überflutet mit vermeintlichen Experten, Bildern und Videos. Dabei fehlt so gut wie immer der Kontext. „Sprühventile“ bei abgestellten Maschinen entpuppen sich als Ablassventile für Öl und Treibstoff; „Chemtrails in Bodennähe beim Abheben“ stellen sich beim näheren Hinsehen als Eis oder Tau heraus, das durch den Luftstrom weggeblasen wird; Politiker, die es „Zugaben“, haben gar nicht von Chemtrails, sondern von Geoengineering als tatsächlich erforschte Überkategorie gesprochen; Bilder von Tanks aus dem Inneren von Großflugzeugen zeigen Wassertanks zur Gewichtssimulierung bei Zulassungsflügen; „Experten aus Medizin und Luftfahrt“ sind gescheiterte Existenzen mit gekauften Titeln, etc etc.). Die Suchbegriffe „Chemtrail 100% proof“ ergeben bei Google 118.000 Suchergebnisse. Ich möchte davon exemplarisch auf 4 als „eindeutige Beweise“ gehandelte Beispiele eingehen, um die oben angesprochenen Erklärungsmuster nachzuweisen.

1) „Ertappt bei frischer Tat, Teil 1“: Mit am häufigsten werden Belege in Videos oder Bildern gezeigt, die Flugzeuge beim „Sprühen“ von Chemtrails zeigen sollen.

Beispiel:

Das Video zeigt ein landendes Verkehrsflugzeug, welches eine nebelartige Substanz hinter den Tragflächen herzieht. Der Titel des Videos lautet „BUSTED pilot forgets to turn off CHEMTRAILS while landing“. Tatsächlich sind die Schleppen hinter den Tragflächen durch Druck- und Temperaturabfall in der ohnehin feuchten Atmosphäre in Abhängigkeit zum Anstellwinkel genauso gut zu erklären. Ein Abstellen der Chemtrails wäre ohnehin nur durch Stillegen der Triebwerke Möglich. Man beachte, dass die Schleppen über die ganze Fläche und Teile des Rumpfes verteilt auftreten und nicht ausschließlich im Bereich der Motoren. Sachlich festgelegt sind Chemtrail-Gläubige aber ohnehin nicht. Hinweise darauf, was wirklich passiert, werden aber nicht zugelassen; Widersprüche nicht bemerkt. Die selektive Wahrnehmung ist am Werk.

2) „Ertappt bei frischer Tat, Teil 2“: Bilder und Videos zeigen Flugzeuge, die tatsächlich mit Tanks ausgerüstet sind und eine Flüssigkeit ablassen.

Was kann das nur sein?

Nur zwei Minuten Recherche ergeben, dass es sich um eine zum Feuerlöschflugzeug umgerüstete Maschine handelt. Man beachte auch hier die Flexibilität in der Argumentation: Ging es nicht gerade eben noch um Airliner und Kondensstreifen? Ähnliches geschieht mit eingebauten Wassertanks zur Simulation des Passagiergewichtes bei Zulassungsflügen. Der Kontext zu dem, wofür die Maschine gebaut wurde, wird in beiden Fällen ausgeblendet. Dabei ist die Verwendung von Tankflugzeugen vielseitig: Zur Ölteppichbekämpfung, Agrarfliegerei, Luft-Luftbetankung und verschiedenartiger wissenschaftlicher Arbeit werden tatsächlich unterschiedliche Stoffe von Flugzeugen ausgebracht. Mit Quellenkritik wäre das nicht passiert.

3) „Die chemische Analyse“: Mit angeblich wissenschaftlichen Analysen zur Zusammensetzung von Chemtrails wirft jede gute Verschwörungsseite um sich:

Wir sehen erhöhte Schwermetall-Werte in Laboruntersuchungen von…Chemtrails? Nein!

Das Bild lässt keinen Schluss darauf zu, was eigentlich analysiert wurde. Lediglich im oberen Bildbereich wurde offensichtlich durch Bildbearbeitung der Begriff „Chemtrails Analyse“ sowie die Sätze „Der Aluminium-Wert ist 10,000 Fach zu Hoch!“ und „Aluminium verursacht Alsheimer“ nachträglich eingefügt. Der Begriff „Alzheimer“ ist falsch geschrieben. Was überhaupt untersucht wurde und ob es eventuell auch andere Quellen (wie Schwerindustrie) geben könnte, wird nicht geklärt. Aus den meisten anderen Beispielen geht zumindest die Art der Probe, wie z.B. „Wastewater“ oder „Ground Sample“ hervor. So oder so handelt es sich um ein falsches Deklarieren bzw. schlicht um Manipulation der Quelle. Hier werden Regen- und Schneewasseranalysen besprochen. Wenige Seiten weiter im Kontext erfolgt ein „Aufruf an die Venusianer und die Meister der Wahrheit“. Der Autor erhofft sich eine „positive Unterstützung“ u.a. von „feinstofflichen Raumbrüdern“ und dem „universellen Christus“. Die erste abstruse Theorie wird mit einer Zweiten verknüpft (Sie ahnen es: Das ist kein Witz (3)).

4) „Der „Experte“ packt aus“: Jetzt aber! Ein Youtube-Video mit dem Titel „Topic of Chemtrail discussed at United Nations Global Warming Session“.

Oh, das ist doch was. Wenn selbst die UN es zugibt…? Dieses Video wird auf Chemtrail-Seiten als ganz besonders 100%iger Beweis angesehen. Was sehen wir genau?

Gezeigt wird eine gewisse Rosalind Peterson bei einer knapp 18-minütigen Rede, die scheinbar während einer Konferenz mit einer veralteten Videokamera in schlechter Qualität aufgenommen wurde. Impliziert wird durch den Begleittext, dass hier ein Mitglied der UN die Existenz von Chemtrails zugibt. Diese Behauptung hält einer genaueren Prüfung nicht stand:

Die angesprochene Konferenz ist keine UN-Konferenz, sondern eine Zusammenkunft von Nicht-Regierungsorganisationen, für die die UN als Schirmherr auftritt. Es handelte sich um die 60. jährliche DPI/NGO Konferenz 2007. Für eine Zulassung als NGO müssen aber keine besonders hohen Hürden überwunden werden. Rosalind Peterson ist die Mitgründerin der „Agriculture Defense Coalition“, deren Link am unteren Ende des Bildschirmes eingeblendet wird und die neben dem eigenen, eher amateurhaften Internetauftritt nur in verschwörungsnahen Seiten zitiert wird. Was bleibt am Ende an Beweiskraft? Rein gar nichts – kein Regierungsvertreter, aber eine zweifelhafte Organisation und nur eine Person, die etwas in eine schlechte Kamera sagt, was in dieser Form auch jeder andere Mensch hätte tun können. Die Behauptung, dass Regierungen Chemtrails zugeben, ist ohnehin eine Sache für sich. Das Projekt ist doch geheim, nun wird es bestätigt, allerdings ohne sichtliche Auswirkungen. Schon morgen ist es wieder geheim. Macht das Sinn?

2012 nimmt Rosalind Peterson ihre Behauptungen über Chemtrails im Übrigen wieder zurück:

Austauschbar ist diese Kategorie von „Beweisen“ mit vermeintlichen Cockpitmitschnitten, Tagungen und allen möglichen Medienauftritten. Die Überprüfung jedes anderen Beispieles wird zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen.

Die Beispiele stehen exemplarisch für eine ungezählte Zahl ähnlicher Behauptungen. Warum schlagen sich die Spuren dieser angeblich weltweiten Verschwörung eigentlich nur in Quellen nieder, die zuvor einiges an Mühe aufgebracht haben, diese „Beweise“ anders aussehen zu lassen? Spricht man die Gläubigen darauf an, folgen meist Ablehnung oder Drohungen. Ähnlich einer Religion bleibt bei schwindenden Beweisen der Glaube die einzige Rechtfertigung. Statt einer Änderung der eigenen Position durch neue Informationen oder Selbstkritik folgen nur Abwehrreflexe.

Ich möchte die Frage anders fortführen: Weswegen begeben sich Menschen eigentlich in konspirative Kreise? Der für mich persönlich interessanteste Ansatzpunkt von Verschwörungstheorien ist, dass diese den Anhänger von der Verantwortung des eigenen Handelns entbinden. Ein Beispiel: „Die Juden regieren die Finanzwelt und steuern Konflikte – da kann nichts gegen tun“. Der Gegenentwurf hierzu könnte z.B. lauten: „Auch ich habe einen Einfluss auf die Gesellschaft, z.B. durch mein Konsumverhalten“. Dieser unbequeme Schritt bleibt den Verschwörungstheoretikern erspart. Wenn die Welt einmal in Gut und Böse unterteilt ist, gibt es nichts einfacheres, als zuhause zu bleiben und sich dem Hass hinzugeben. Der Forscher Roland Imhoff weist darauf hin, dass sich besonders arbeitslose oder unter prekären Verhältnissen lebende Menschen zu Konspirationen hingezogen fühlen. Imhoff sieht darin einen Versuch, sich selbst Kontrolle im ansonsten fremdkontrollierten Leben vor zu spielen. Schließlich ist man im Besitz einer speziellen Erkenntnis, etwas Besonderes. Mit Verschwörungstheorien kann man in der Tat der Realität wunderbar entfliehen: Wo Chemtrails sind, sind auch Atlantis, Reptilienmenschen und Flugscheiben nicht weit (Oder, um es spitzer zu formulieren: Verschwörungstheorien sind nicht nur etwas für dumme Menschen, aber sie setzen durchaus innere Bequemlichkeit vorraus (4)). Das sich um Leute, die alles glauben, irgendwann auch ein lukrativer Markt formt, versteht sich von selbst.

Und wenn es nun unter den zahllosen Belegen nur einen Einzigen gibt, der doch nicht gefälscht ist? Das würde doch ausreichen! Keine Angst – den gibt es nicht. Das gleiche Muster wird immer das gleiche Bild erzeugen. Wer schon bei Zauberern und Elfen daneben lag, wird sich beim Einhorn wieder Irren. Eine gute Quelle aber hat keine unseriösen Kanäle nötig.

Gibt es nun einen klaren Beweis dafür, das keine Chemie durch Flugzeuge ausgebracht wird? Nein, gibt es nicht. Den kann es auch nicht geben, weil die Theorie so ausgelegt ist, dass sie keine Gegenbeweise zulässt. Würde man alle Flugzeuge der Welt gleichzeitig grounden und untersuchen und würde nichts gefunden, wäre dies in den Augen der Konspirationisten immer noch kein Gegenbeweis. Es könnte sich ja um ein lange vorbereitetes Ablenkungsmanöver handeln. Ein Mensch, der aber nur seine eigene Sichtweise gelten lässt, sieht nie die ganze Wahrheit. Bedeutet dies alles jetzt im Umkehrschluss, dass die Welt frei von allem Unheiligen ist und die Superganoven nur im Kino leben? Meiner Meinung nach: Nein. Aber nur ein Paranoider glaubt daran, dass die Welt von Geheimbünden gesteuert wird, die einerseits im Dunkeln arbeiten und andererseits chiffrierte Botschaften in der Öffentlichkeit hinterlassen, sodass eine kleine, ungebildete Minderheit vom eigenen PC aus doch noch auf deren Fährte kommt. Was jetzt folgt, ist meine ganz persönliche Meinung: Die Superganoven unserer Welt arbeiten im Bankensektor, in Politik und Wirtschaft und wollen Ressourcen, Überwachung und Geld. Um eines klar zu stellen:

Es gibt mit Sicherheit Organisationen, die gezielt Mensch & Umwelt schaden und die nicht wollen, das man über sie redet. Den Umkehrschluss, das ein paranoider Mensch nicht verfolgt werden kann, möchte ich – nicht – gelten lassen. Ein Beispiel sind die Enthüllungen Edward Snowdens. Hätte vorher jemand davon gesprochen, dass die weitgehend gesamte westliche Hemisphere systematisch abgehört wird, hätte man dies sicher als Humbug abgetan. Ist dies nun ein Beweis dafür, dass doch nicht alle Verschwörungstheorien unwahr sind? Nein, es ist ein Gegenbeweis. Denn Snowden musste nach seinen Enthüllungen untertauchen, hatte begründete Angst um sein Leben. Wäre es denkbar gewesen, seine Informationen über Kundgebungen und Youtube zu veröffentlichen? Nichts anderes tun Verschwörungstheoretiker aber – sie diskutieren ihren Humbug in sozialen Netzwerken und gehen öffentlich demonstrieren – es ist ihnen nie in den Sinn gekommen, dass ihr Verhalten Konsequenzen hätte, würden sie wirklich eine geheime Wahrheit aufdecken. Dies ist mein letztes angeführtes Argumentationsmuster: Es wird davon ausgegangen, im Besitz geheimer Informationen einer übergeordneten Macht zu sein und befürchtet teilweise auch Konsequenzen, aber es geschieht nichts. Vor Snowden hatten die Konsorten von Bell & Co übrigens keinen Schimmer von der NSA-Affäre. Die Vorgehensweise von tatsächlich stattfindenden „Verschwörungen“ sieht eher so aus: Nach dem, was nahe liegt, hinterlassen Ganovenkartelle keine chiffrierten Zeichen in der Öffentlichkeit und sie kümmern sich um ihre Informationslecks. Finden wir dann (auch nachträglich) Hinweise auf die Ereignisse, streuten diese bis in unvorbelastete Quellen. Gegen Kritiker wird vorgegangen. Ich denke, das westliche Industrienationen Konflikte gezielt unterstützen und dass Wirtschaft und Politik zu eng zusammenarbeiten, auch wenn damit wirtschaftliche Interessen über menschliche gestellt werden. Dieser Text ist kein Aufruf, still zu sitzen. Dinge wie Lobbyismus und Klimawandel existieren und ich möchte dies nicht in Abrede stellen (5). Ich denke, dass die Welt durch Machtkonstrukte gesteuert wird, eben weil diese auf Menschen hier und anderswo reale Auswirkungen haben. Die hohle Erde hat das nicht. Deswegen kann Dr. Axel Stoll ungestört auf YouTube fantasieren, während Systemkritiker in Russland liquidiert werden, wenn diese Kritik üben. Nicht alles hängt zusammen und es gibt meist mehrere Faktoren, aber der Grundgedanke wird, denke ich, klar.

Was nun tun gegen die Probleme der Welt? Eine pauschale Antwort fällt schwer. Mit Sicherheit hilft es wenig, zuhause zu sitzen und sich in (Lynch)Phantasien für den Tag X zu ergehen. Ein Gegenkonzept könnte lauten, sich die gesellschaftliche Agitation für Kanäle mit Auswirkungen jenseits der eigenen Gedankenwelt aufzuheben und zuerst die eigenen Gewohnheiten zu ändern. Die Akzeptanz der eigenen Verantwortung ist wichtiger als das Suchen nach Schuldigen. Das ist zwar ein vorläufig unbefriedigender und unbequemerer Weg, aber der einzig Nachhaltige.

Der Verfasser hat einen Hochschulabschluss der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und ist im Besitz einer Lizenz für Berufspiloten.

Anmerkungen:

(1) Es ist rein technisch Möglich, einzelne Flugzeugtanks mit versetztem Treibstoff zu befüllen und andere nicht. Durch die Auslegung des Treibstoffsystems in modernen Flugzeugen (ein Haupttank, der von Auxiliarbehältern gespeist wird) ist eine „getrennte“ Verwendung aber trotzdem nicht Möglich. Es kommt früher oder später zur Vermischung. Alles in allem bin ich nicht wenig stolz auf dieses Argument.

(2) Sicher, es gibt eine Vermischung von Flugzeugabgasen mit der oberen Atmosphäre. Da Chemtrail-Anhänger jedoch mehr vom Absinken („Fallout“) der beigefügten Stoffe als vom Aufsteigen ausgehen, ist dieses Argument hier aber nicht anwendbar.

(3) Eine Probe von einem „tatsächlichen“ Chemtrail zu nehmen läge dank moderner Technik übrigens durchaus im Rahmen des Möglichen. Wetterballons für Amateur-Meteorologen sind für einige hundert Euro erhältlich. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die von einer tatsächlichen Luftprobe stammt. Die Begründung hierfür lautet auf die schwere Feststellbarkeit von „Nano-Partikeln“ oder auf „militärische Absperrung“ der Chemtrails (?!).

(4) Ein Chemtrail-Gläubiger würde vermutlich widersprechen, seine stetige innere Aufregung als „bequem“ zu empfinden. Die Psychologie schätzt das sich-bewegen in ausschließlich vertrauten Mustern aber als leichter ein, als etwas Neues zuzulassen.

(5) Wer nicht glaubt, welches kriminelle Potential in Regierungen – „unseren“ Regierungen – steckt, informiere sich einmal über die „Operation Northwood“ oder die „SAS Beluga“. Auch die Ausführungen des Arbeitskreises kritischer Juristinnen und Juristen der Humboldt-Universität Berlin über die Vorgänge um das RAF-Mitglied Wolfgang Grams in Bad Kleinen ist empfehlenswert. Hier finden wir Belege über „Verschwörungen“ in seriösen Quellen.

Literaturtipps:

http://chemtrails-maerchen.blogspot.de/
http://chemtrailbilder.de (sehr gute Quellennachweise)
http://www.martin-wagner.org/anti-chemtrails.htm (zumThema Chemtrails durchaus interessante, logische Analysen)
https://www.facebook.com/Wahnwichtel2014?fref=ts (Protokolle der Parallelwelten ganz normaler Menschen. Erschreckend und Interessant zugleich)
Weitere Einblicke: Dr. Axel Stoll, der Assi-Toni der Wissenschaft. Wissenschaftliche Brillianz auf einem Level mit dem Unterhaltungswert

Letzter Zugriff auf Internet-Links am 15.09.2015

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