Die Chemtrail-Entschwörung: Ein Appell zur Wirklichkeit

Anmerkung: Dieser Text wurde uns von einer Person, die in der Luftfahrtbranche beschäftigt ist, zugeschickt. Vielen Dank für das Recht auf Veröffentlichung.

Die folgende Abhandlung beschäftigt sich mit Argumentationsmustern von Verschwörungstheorien und deren psychologischen Mechanismen. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie ein unvernünftiges Gedankenkonstrukt alleine durch seinen logischen Aufbau entlarvt werden kann. Ich bin der Meinung, dass sich reale, greifbare Vorgänge niemals ausschließlich mit konspirativen Erklärungsmustern belegen lassen; dass dies vielmehr ein Anzeichen von unausgereiften oder fiktiven Dingen ist und sozusagen im Umkehrschluss die Unwahrheit der behaupteten Sache nahe gelegt werden kann. Anlass zu folgendem Text gab eine eigentlich gebildete Freundin, die in einem bekannten sozialen Netzwerk überraschenderweise auf sogenannte „Chemtrails“ zu sprechen kam, weswegen das Thema exemplarisch an der „Chemtrail-Verschwörung“ abgearbeitet wird. Aus einem Kommentar hierzu, den ich erst für mich behielt und in meiner Freizeit immer weiter ausbaute, erwuchs der Spaß am Schreiben und Recherchieren. Dies soll keine streng wissenschaftliche Arbeit sein, sondern ein Beleuchtungs- und Erklärungsversuch, der die immer wiederkehrenden Muster von Verschwörungstheorien zum Gegenstand hat. Als Quelle dienen öffentlich zugängliche Medien (dieselben, die auch die Anhänger der angesprochenen Theorien nutzen). Ziel des Textes ist nicht zuletzt, die Chemtrail-Verschwörung anhand von einfacher Logik (und mit begrenzten Hintergrundinformationen) als Ausgeburt der Fantasie zu entlarven. Fast wichtiger erscheint aber, dabei die „Natur“ von Verschwörungstheorien zu analysieren. Hierfür wird auch, aber nicht ausschließlich, auf von der Anhängerschaft der Theorie vorgebrachte „Beweise“ eingegangen.

Die Chemtrail-Verschwörung geht davon aus, dass durch kommerziell genutzte Verkehrsflugzeuge Chemikalien in die Atmosphäre ausgebracht werden, durch welche am Himmel stehende Kondensstreifen Zeugnis geben. Weder die genaue Durchführung noch deren Zielsetzung wird von Anhängern der Theorie einheitlich erklärt.

Um zu bewerten, ob über ein bestimmtes Thema die Wahrheit gesagt wird, ist detailliertes Wissen die beste Versicherung. Leider ist es nicht Möglich, zu allem und jedem Fachkompetent zu sein. Eine hilfreiche Alternative ist es aber, die Argumentationsstruktur zu analysieren. Werden bestimmte Dinge weggelassen oder bewusst vereinfacht? Wird Kritik akzeptiert oder nicht? Kann die Person glaubwürdig machen, woher sie ihre Informationen hat oder Qualifikationen nachweisen? Sind die Argumente sinnig, oder handelt es sich um einen Zirkelschluss?

Argumentationsmuster von Verschwörungstheoretikern sind unter anderem, aber nicht ausschließlich:

Wissenschaftliche Aspekte:

– Arbeiten mit Halbwahrheiten; Ausschließen von Kontext (Beispiel: Einzelbilder von Feuerlöschflugzeugen im Einsatz auf Chemtrail-Seiten).
– Ablehnung von Kritik (Beispiel: „Wer anderer Meinung ist, ist selbst manipuliert oder gehört zu den Verschwörern“).
– Doppelte Standards bei der Bewertung von Quellen (Beispiel: „Wenn ein Pilot im Fernsehen Chemtrails negiert, ist das gelogen. Wenn ein Pilot im Fernsehen Chemtrails zugibt, ist das ein Beweis“).
– Stets unseriöse oder keine Quellen (Kopp-Verlag, Alien-news, Youtube-Videos etc.). Quellen werden selten hinterfragt.
– Manipulierung von Quellen (Beispiel: selbsternannte „Piloten, Mediziner, Experten“ entpuppen sich als Scharlatane ohne Qualifikation).
– Selektive Wahrnehmung bei der Aufnahme von Informationen – Wechsel des Standpunktes, wenn es argumentativ Vorteilhaft erscheint (Beispiel: „Chemtrails werden über die Triebwerke ausgebracht. Bilder, auf denen Stoffe auf eindeutig andere Weise abgegeben werden, sind trotzdem ein Beweis für dieselbe Theorie“). Auf Widersprüche wird nicht eingegangen. Die Verschwörungstheorie ist stets unspezifiziert, es ist immer ein Ausweichen auf andere Gedankenmodelle möglich.

Zum Vergleich: Wissenschaftliches Arbeiten setzt Quellenangaben, Wiederhol- und Nachprüfbarkeit von Versuchen sowie Einbindung von widersprüchlichen Informationen voraus. Wird eine Theorie verfolgt, dann bleibt man dabei, bis sie entweder be- oder widerlegt ist. Der Zufluss von neuen Informationen führt dazu, dass der eigene Standpunkt überdacht wird. Damit haben wir in der Vorgehensweise der Verschwörungstheoretiker das Gegenteil von „Wissenschaft“ per Definition!

Psychologische Aspekte:

– Bedienen von Hoffnung, Instinkten und Angst (nicht von Logik und Vernunft).
– Entbindung von der Verantwortung des eigenen Handelns.
– Abschottung zur Realität. Unspezifische Verknüpfungen zu anderen Verschwörungstheorien möglich.

Aspekte über die Auswirkungen im Betrachter:

– Einfache Lösungen für komplexe Probleme.
– Die Lösung läuft darauf hinaus, bestimmte Menschengruppen zu benachteiligen. Viele Verschwörungstheorien führen auf lange Sicht in den Antisemitismus, da in der westlichen Hemisphere das Judentum seit jeher als Sündenbock festgesetzt ist.
– Unterteilung der Welt in Schwarz und Weiß.
– Die eigene Seite wird als die Sache aller Aufrichtigen dargestellt, das eigene Handeln als Alternativlos.

Der größte Feind der Konspiration ist das Fachwissen. Es ist eines der typischen Merkmale von Massenmanipulatoren, mit Halbwahrheiten zu arbeiten, die einen mehr oder weniger sichtbaren Bezug auf die Lebensrealität haben, deren exakte Erklärung aber Expertise voraussetzt. Anders gesagt: es wird ein tatsächliches Ereignis besprochen, aber mit einer gewagten Schlussfolgerung versehen. Der unbedarfte Rezipient kann beides bald nicht mehr auseinander halten. Deswegen finden sich unter den Anhängern vor allem solche ohne Vorbildung, während Experten mit den Augen rollen. Das Verschwörungstheorien so biegsam sind (aufgrund unbelastbarer Nachweise), dass jedem eine eigene Auslegung der Wirklichkeit erlaubt ist, ist ebenfalls ein nennenswerter Punkt. Im Falle der Chemtrailtheorie wären Kenntnisse der Meteorologie, Luftfahrt oder Physik das Fundament zur Aufklärung.

Kondensstreifen entstehen prinzipiell dadurch, das warme Motorenabgase in den extrem kalten Luftschichten der oberen Troposphäre kondensieren und das noch enthaltene Wasser, ausfällt (kalte Luft hält weniger Feuchtigkeit als warme Luft; hier spielen auch Sand/Staub/Abgaspartikel, die als Kondensationskerne fungieren, eine Rolle). Im Grunde produziert jede_r selbst „Kondensstreifen“, wenn man im Winter ausatmet. Schornsteine, Auspuffe, kochendes Wasser – vom Prinzip alles dasselbe. Kondensstreifen gibt es seit langem, auch unabhängig von Flugzeugantrieben (zum Beispiel an sehr schnellen Flugzeugen im Kurvenflug ( –> Abkühlung durch Druckabfall auf der Tragflächenoberseite)) und in anderen Zusammenhängen, ohne das je jemand etwas gesagt hat. Luftbildaufnahmen aus den 40er Jahren zeigen wilde Streifenmuster über London nach Luftkämpfen. Tatsächlich angedacht wurde die Möglichkeit der Wetterbeeinflussung im „Welsbach-Patent“ von 1991. Die Theorie der „Chemtrails“ kam vermutlich erstmals gegen 1996 als Reaktion auf ein Papier der USAF auf, das hierauf aufbauend die theoretische Möglichkeit von Wettermanipulation in ferner Zukunft zum Thema hatte. Dieser Ansatz wurde von Art Bell, einem Radiomoderator und anderen selbsternannten „Investigativen Journalisten“, die ihre Absatzzahlen durch reißerische Stories aufwerten wollten, verbreitet. In nächtlichen Radioshows, sozusagen den Vorläufern von „X-Faktor“, in denen auch von UFO’s und Telekinese die Rede war, wurde der Ansatz der Chemtrails zum ersten Mal vorgetragen und unter Gesichtspunkten der Unterhaltung bzw. Science-Fiction inhaltlich ausgearbeitet.

Am Anfang haben die Befürworter größtenteils behauptet, alle Kondenstreifen seien chemisch versetzt. Inzwischen ist – vermutlich als Reaktion auf die doch eindeutige Realität – allgemeiner Konsens, dass Kondensstreifen nicht in jedem Fall auch Chemikalien enthalten müssen und man die kontaminierten „Chemtrails“ am breiten Ausfächern oder an der langen Verweildauer am Himmel erkenne.

Ein Gegenbeweis: Schon im 2. Weltkrieg gab es diese „langen und haltbaren“ Streifen, die einfach mit den Verhältnissen der Luftschichten zu tun haben (Temperatur, Wind und Luftfeuchtigkeit, die sich auch mit Höhe und Wettersystemverlauf ändern). Bilder der Luftschlacht um England belegen, dass es beide Arten der Kondensstreifen schon immer gab, produziert von Menschen, die weder Platz für Chemikalientanks in ihren Flugzeugen noch das heutige Hintergrundwissen über die assoziierten Vorgänge in der Atmosphäre hatten.

Es haben sich aus den unterschiedlichsten Behauptungen drei „Haupttheorien“ entwickelt, mit denen das Ziel der Verschwörung erklärt werden soll:

1) Ausbringung von Chemikalien zur Beeinträchtigung der Landwirtschaft – Sicherstellung der Vorherrschaftsstellung von Konzernen wie Monsanto, die mit bereits heute patentierten, genmanipulierten Pflanzen die alleinige Vormachtsrolle der Zukunft beanspruchten.

2) Ausbringung von Chemikalien in die Ozonschicht, um dem Treibhauseffekt entgegenzuwirken (Wettermanipulation im weitesten Sinne, aber auch Kriegsführung durch Umweltbeeinflußung).

3) Vergiftung der Bevölkerung im Interesse der Pharmaindustrie (in Kombination mit den ersten beiden, gerne auch mit esoterischen Ansätzen. Beispiel: „Modifikation der ganzen Atmosphäre, um Lebensbedingungen für außerirdische Wesen zu schaffen, welche sich auf der Erde ansiedeln wollen und bereits in Kontakt mit der Regierung stehen“. Hier sehe ich mich zum ersten Mal zu einer Anmerkung gezwungen: Das ist kein Witz!).

Kaum ein Vertreter der Chemtrailtheorie ist auf eine Hypothese festgelegt und kann in den Argumentationsweisen wechseln, sollte ein Gegenargument zu gewichtig sein. Allerdings ist keine von diesen, entgegen der geläufigen Behauptung, mit gewöhnlichen Verkehrsflugzeugen realisierbar, obwohl dies der Hauptansatz der Verschwörungstheorie ist. Wo sollte sich z.B. der Chemikalientank befinden? Im Flügel & Rumpf eines Airliners ist nicht mehr genug Platz, um die doch ordentliche, notwendige Menge an Ausbringmaterial zu lagern. Zudem wären alle Blaupausen aus Lehrbüchern und dem Internet gefälscht (immerhin noch Möglich) und die darauf aufbauende Masse & Schwerpunkt Kalkulationen wären verschoben (gefährlich). Generell ist die Ausbringung im Sinne der Chemtrailtheorie nur über die Triebwerke selbst möglich, da eine Ausbringung durch eigene Ventile Muster außerhalb der Motorenabgase erzeugen würde. Hiervon wurde aber nie gesprochen. So einigten sich viele Anhänger nun darauf, die Chemie sei im Kerosin selbst (wovon auch das Welsbach-Patent ausgeht). Nur so könne die geforderte Menge untergebracht und an die Umwelt abgegeben werden. Hier fängt es allerdings endgültig an, verwirrend zu werden, denn hier sind die Theorien absolut nicht mehr homogen. Im Gespräch sind unterschiedlichste Stoffe, u.a. Aluminium- und Barium-Verbindungen, Antimon, Arsen, Cadmium, Mangan, Zink sowie Viren, Schimmelpilze und Mikrochips (Ich muss mich wiederholen: Das ist kein Witz). Betrachten wir diese Vorgänge im Ganzen:

Wenn Additive im Benzin sind, gelangen sie auch durch die Brennkammer und werden dadurch vernichtet (im Falle von biologischen Stoffen; bei mineralischen oder eisenhaltigen Verbindungen läuft der Motor Gefahr, zu verschleißen (Schmelzpunkt von z.B. Aluminium 660°/ Barium 730°, Temperatur in einer Jetturbine über 1600°)).

Ein weiterer Gegenbeweis: Metallische Verbindungen wie Aluminium- und Bariumbasierte sind nicht in gebräuchlichem (Luftfahrt)Treibstoff löslich.

Gegenargument: Darüber hinaus gibt es keine Belege oder Erkenntnisse, dass die angesprochenen Chemikalien überhaupt eine Wirkung auf Wolken oder Abgasspuren haben (wie beispielsweise, diese länger und haltbarer zu machen).

Es ist doch bemerkenswert, wie viel wir hier schon mit einfacher Logik und sehr begrenztem Verständnis von technischen Vorgängen erreichen können. Im Falle des versetzten Benzins würde bei laufendem Motor ununterbrochen etwas ausgestoßen werden, also auch bevor und nachdem Kondensmuster entstehen. Die silbernen Streifen müssten in diesem Fall vom Start bis zur Landung zu sehen sein (1). Wie viele Flugzeuge wären überhaupt nötig, um ganz Europa flächendeckend zu besprühen? Manchmal hilft schon ein wenig „common sense“, um eine Lüge zu enttarnen. Sieht man nur das, was man sehen möchte, erkennt man aber nur die Hälfte.

Es gibt noch andere Gründe, weswegen es schlicht und ergreifend unlogisch wäre. Wieso beobachtet man „Chemtrails“ über dem Ozean? Was wird da besprüht? Wie bringt man die ständig wechselnden Bodencrews dazu, geschlossenes Schweigen zu bewahren, wenn beim Vorflugcheck auf einmal weitere Auslassventile auftauchen? Sicher, es gibt Gruppendisziplin in beruflichen Abhängigkeitsverhältnissen, aber eine unüberschaubare Zahl an Fluggerätemechanikern in aller Herren Länder ist keine Spezialeinheit mit Ehrenkodex. Gäbe es nicht auch viel effektivere Methoden, eine Substanz über einem Acker aus zu bringen? Oder geht es doch um Manipulationen der Ozonschicht? Leider hat noch kein Verschwörungstheoretiker die max. Flughöhen von Airbus & Co mit der durchschnittlichen Höhe der Ozonschicht verglichen (2). Und ließe sich ein wachsendes Auftreten von Kondensstreifen nicht auch dadurch erklären, dass immer mehr Flugzeuge betrieben werden?

Sehen wir uns einmal die „Beweise“ für Chemtrails näher an. Das Internet ist überflutet mit vermeintlichen Experten, Bildern und Videos. Dabei fehlt so gut wie immer der Kontext. „Sprühventile“ bei abgestellten Maschinen entpuppen sich als Ablassventile für Öl und Treibstoff; „Chemtrails in Bodennähe beim Abheben“ stellen sich beim näheren Hinsehen als Eis oder Tau heraus, das durch den Luftstrom weggeblasen wird; Politiker, die es „Zugaben“, haben gar nicht von Chemtrails, sondern von Geoengineering als tatsächlich erforschte Überkategorie gesprochen; Bilder von Tanks aus dem Inneren von Großflugzeugen zeigen Wassertanks zur Gewichtssimulierung bei Zulassungsflügen; „Experten aus Medizin und Luftfahrt“ sind gescheiterte Existenzen mit gekauften Titeln, etc etc.). Die Suchbegriffe „Chemtrail 100% proof“ ergeben bei Google 118.000 Suchergebnisse. Ich möchte davon exemplarisch auf 4 als „eindeutige Beweise“ gehandelte Beispiele eingehen, um die oben angesprochenen Erklärungsmuster nachzuweisen.

1) „Ertappt bei frischer Tat, Teil 1“: Mit am häufigsten werden Belege in Videos oder Bildern gezeigt, die Flugzeuge beim „Sprühen“ von Chemtrails zeigen sollen.

Beispiel:

Das Video zeigt ein landendes Verkehrsflugzeug, welches eine nebelartige Substanz hinter den Tragflächen herzieht. Der Titel des Videos lautet „BUSTED pilot forgets to turn off CHEMTRAILS while landing“. Tatsächlich sind die Schleppen hinter den Tragflächen durch Druck- und Temperaturabfall in der ohnehin feuchten Atmosphäre in Abhängigkeit zum Anstellwinkel genauso gut zu erklären. Ein Abstellen der Chemtrails wäre ohnehin nur durch Stillegen der Triebwerke Möglich. Man beachte, dass die Schleppen über die ganze Fläche und Teile des Rumpfes verteilt auftreten und nicht ausschließlich im Bereich der Motoren. Sachlich festgelegt sind Chemtrail-Gläubige aber ohnehin nicht. Hinweise darauf, was wirklich passiert, werden aber nicht zugelassen; Widersprüche nicht bemerkt. Die selektive Wahrnehmung ist am Werk.

2) „Ertappt bei frischer Tat, Teil 2“: Bilder und Videos zeigen Flugzeuge, die tatsächlich mit Tanks ausgerüstet sind und eine Flüssigkeit ablassen.

Was kann das nur sein?

Nur zwei Minuten Recherche ergeben, dass es sich um eine zum Feuerlöschflugzeug umgerüstete Maschine handelt. Man beachte auch hier die Flexibilität in der Argumentation: Ging es nicht gerade eben noch um Airliner und Kondensstreifen? Ähnliches geschieht mit eingebauten Wassertanks zur Simulation des Passagiergewichtes bei Zulassungsflügen. Der Kontext zu dem, wofür die Maschine gebaut wurde, wird in beiden Fällen ausgeblendet. Dabei ist die Verwendung von Tankflugzeugen vielseitig: Zur Ölteppichbekämpfung, Agrarfliegerei, Luft-Luftbetankung und verschiedenartiger wissenschaftlicher Arbeit werden tatsächlich unterschiedliche Stoffe von Flugzeugen ausgebracht. Mit Quellenkritik wäre das nicht passiert.

3) „Die chemische Analyse“: Mit angeblich wissenschaftlichen Analysen zur Zusammensetzung von Chemtrails wirft jede gute Verschwörungsseite um sich:

Wir sehen erhöhte Schwermetall-Werte in Laboruntersuchungen von…Chemtrails? Nein!

Das Bild lässt keinen Schluss darauf zu, was eigentlich analysiert wurde. Lediglich im oberen Bildbereich wurde offensichtlich durch Bildbearbeitung der Begriff „Chemtrails Analyse“ sowie die Sätze „Der Aluminium-Wert ist 10,000 Fach zu Hoch!“ und „Aluminium verursacht Alsheimer“ nachträglich eingefügt. Der Begriff „Alzheimer“ ist falsch geschrieben. Was überhaupt untersucht wurde und ob es eventuell auch andere Quellen (wie Schwerindustrie) geben könnte, wird nicht geklärt. Aus den meisten anderen Beispielen geht zumindest die Art der Probe, wie z.B. „Wastewater“ oder „Ground Sample“ hervor. So oder so handelt es sich um ein falsches Deklarieren bzw. schlicht um Manipulation der Quelle. Hier werden Regen- und Schneewasseranalysen besprochen. Wenige Seiten weiter im Kontext erfolgt ein „Aufruf an die Venusianer und die Meister der Wahrheit“. Der Autor erhofft sich eine „positive Unterstützung“ u.a. von „feinstofflichen Raumbrüdern“ und dem „universellen Christus“. Die erste abstruse Theorie wird mit einer Zweiten verknüpft (Sie ahnen es: Das ist kein Witz (3)).

4) „Der „Experte“ packt aus“: Jetzt aber! Ein Youtube-Video mit dem Titel „Topic of Chemtrail discussed at United Nations Global Warming Session“.

Oh, das ist doch was. Wenn selbst die UN es zugibt…? Dieses Video wird auf Chemtrail-Seiten als ganz besonders 100%iger Beweis angesehen. Was sehen wir genau?

Gezeigt wird eine gewisse Rosalind Peterson bei einer knapp 18-minütigen Rede, die scheinbar während einer Konferenz mit einer veralteten Videokamera in schlechter Qualität aufgenommen wurde. Impliziert wird durch den Begleittext, dass hier ein Mitglied der UN die Existenz von Chemtrails zugibt. Diese Behauptung hält einer genaueren Prüfung nicht stand:

Die angesprochene Konferenz ist keine UN-Konferenz, sondern eine Zusammenkunft von Nicht-Regierungsorganisationen, für die die UN als Schirmherr auftritt. Es handelte sich um die 60. jährliche DPI/NGO Konferenz 2007. Für eine Zulassung als NGO müssen aber keine besonders hohen Hürden überwunden werden. Rosalind Peterson ist die Mitgründerin der „Agriculture Defense Coalition“, deren Link am unteren Ende des Bildschirmes eingeblendet wird und die neben dem eigenen, eher amateurhaften Internetauftritt nur in verschwörungsnahen Seiten zitiert wird. Was bleibt am Ende an Beweiskraft? Rein gar nichts – kein Regierungsvertreter, aber eine zweifelhafte Organisation und nur eine Person, die etwas in eine schlechte Kamera sagt, was in dieser Form auch jeder andere Mensch hätte tun können. Die Behauptung, dass Regierungen Chemtrails zugeben, ist ohnehin eine Sache für sich. Das Projekt ist doch geheim, nun wird es bestätigt, allerdings ohne sichtliche Auswirkungen. Schon morgen ist es wieder geheim. Macht das Sinn?

2012 nimmt Rosalind Peterson ihre Behauptungen über Chemtrails im Übrigen wieder zurück:

Austauschbar ist diese Kategorie von „Beweisen“ mit vermeintlichen Cockpitmitschnitten, Tagungen und allen möglichen Medienauftritten. Die Überprüfung jedes anderen Beispieles wird zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen.

Die Beispiele stehen exemplarisch für eine ungezählte Zahl ähnlicher Behauptungen. Warum schlagen sich die Spuren dieser angeblich weltweiten Verschwörung eigentlich nur in Quellen nieder, die zuvor einiges an Mühe aufgebracht haben, diese „Beweise“ anders aussehen zu lassen? Spricht man die Gläubigen darauf an, folgen meist Ablehnung oder Drohungen. Ähnlich einer Religion bleibt bei schwindenden Beweisen der Glaube die einzige Rechtfertigung. Statt einer Änderung der eigenen Position durch neue Informationen oder Selbstkritik folgen nur Abwehrreflexe.

Ich möchte die Frage anders fortführen: Weswegen begeben sich Menschen eigentlich in konspirative Kreise? Der für mich persönlich interessanteste Ansatzpunkt von Verschwörungstheorien ist, dass diese den Anhänger von der Verantwortung des eigenen Handelns entbinden. Ein Beispiel: „Die Juden regieren die Finanzwelt und steuern Konflikte – da kann nichts gegen tun“. Der Gegenentwurf hierzu könnte z.B. lauten: „Auch ich habe einen Einfluss auf die Gesellschaft, z.B. durch mein Konsumverhalten“. Dieser unbequeme Schritt bleibt den Verschwörungstheoretikern erspart. Wenn die Welt einmal in Gut und Böse unterteilt ist, gibt es nichts einfacheres, als zuhause zu bleiben und sich dem Hass hinzugeben. Der Forscher Roland Imhoff weist darauf hin, dass sich besonders arbeitslose oder unter prekären Verhältnissen lebende Menschen zu Konspirationen hingezogen fühlen. Imhoff sieht darin einen Versuch, sich selbst Kontrolle im ansonsten fremdkontrollierten Leben vor zu spielen. Schließlich ist man im Besitz einer speziellen Erkenntnis, etwas Besonderes. Mit Verschwörungstheorien kann man in der Tat der Realität wunderbar entfliehen: Wo Chemtrails sind, sind auch Atlantis, Reptilienmenschen und Flugscheiben nicht weit (Oder, um es spitzer zu formulieren: Verschwörungstheorien sind nicht nur etwas für dumme Menschen, aber sie setzen durchaus innere Bequemlichkeit vorraus (4)). Das sich um Leute, die alles glauben, irgendwann auch ein lukrativer Markt formt, versteht sich von selbst.

Und wenn es nun unter den zahllosen Belegen nur einen Einzigen gibt, der doch nicht gefälscht ist? Das würde doch ausreichen! Keine Angst – den gibt es nicht. Das gleiche Muster wird immer das gleiche Bild erzeugen. Wer schon bei Zauberern und Elfen daneben lag, wird sich beim Einhorn wieder Irren. Eine gute Quelle aber hat keine unseriösen Kanäle nötig.

Gibt es nun einen klaren Beweis dafür, das keine Chemie durch Flugzeuge ausgebracht wird? Nein, gibt es nicht. Den kann es auch nicht geben, weil die Theorie so ausgelegt ist, dass sie keine Gegenbeweise zulässt. Würde man alle Flugzeuge der Welt gleichzeitig grounden und untersuchen und würde nichts gefunden, wäre dies in den Augen der Konspirationisten immer noch kein Gegenbeweis. Es könnte sich ja um ein lange vorbereitetes Ablenkungsmanöver handeln. Ein Mensch, der aber nur seine eigene Sichtweise gelten lässt, sieht nie die ganze Wahrheit. Bedeutet dies alles jetzt im Umkehrschluss, dass die Welt frei von allem Unheiligen ist und die Superganoven nur im Kino leben? Meiner Meinung nach: Nein. Aber nur ein Paranoider glaubt daran, dass die Welt von Geheimbünden gesteuert wird, die einerseits im Dunkeln arbeiten und andererseits chiffrierte Botschaften in der Öffentlichkeit hinterlassen, sodass eine kleine, ungebildete Minderheit vom eigenen PC aus doch noch auf deren Fährte kommt. Was jetzt folgt, ist meine ganz persönliche Meinung: Die Superganoven unserer Welt arbeiten im Bankensektor, in Politik und Wirtschaft und wollen Ressourcen, Überwachung und Geld. Um eines klar zu stellen:

Es gibt mit Sicherheit Organisationen, die gezielt Mensch & Umwelt schaden und die nicht wollen, das man über sie redet. Den Umkehrschluss, das ein paranoider Mensch nicht verfolgt werden kann, möchte ich – nicht – gelten lassen. Ein Beispiel sind die Enthüllungen Edward Snowdens. Hätte vorher jemand davon gesprochen, dass die weitgehend gesamte westliche Hemisphere systematisch abgehört wird, hätte man dies sicher als Humbug abgetan. Ist dies nun ein Beweis dafür, dass doch nicht alle Verschwörungstheorien unwahr sind? Nein, es ist ein Gegenbeweis. Denn Snowden musste nach seinen Enthüllungen untertauchen, hatte begründete Angst um sein Leben. Wäre es denkbar gewesen, seine Informationen über Kundgebungen und Youtube zu veröffentlichen? Nichts anderes tun Verschwörungstheoretiker aber – sie diskutieren ihren Humbug in sozialen Netzwerken und gehen öffentlich demonstrieren – es ist ihnen nie in den Sinn gekommen, dass ihr Verhalten Konsequenzen hätte, würden sie wirklich eine geheime Wahrheit aufdecken. Dies ist mein letztes angeführtes Argumentationsmuster: Es wird davon ausgegangen, im Besitz geheimer Informationen einer übergeordneten Macht zu sein und befürchtet teilweise auch Konsequenzen, aber es geschieht nichts. Vor Snowden hatten die Konsorten von Bell & Co übrigens keinen Schimmer von der NSA-Affäre. Die Vorgehensweise von tatsächlich stattfindenden „Verschwörungen“ sieht eher so aus: Nach dem, was nahe liegt, hinterlassen Ganovenkartelle keine chiffrierten Zeichen in der Öffentlichkeit und sie kümmern sich um ihre Informationslecks. Finden wir dann (auch nachträglich) Hinweise auf die Ereignisse, streuten diese bis in unvorbelastete Quellen. Gegen Kritiker wird vorgegangen. Ich denke, das westliche Industrienationen Konflikte gezielt unterstützen und dass Wirtschaft und Politik zu eng zusammenarbeiten, auch wenn damit wirtschaftliche Interessen über menschliche gestellt werden. Dieser Text ist kein Aufruf, still zu sitzen. Dinge wie Lobbyismus und Klimawandel existieren und ich möchte dies nicht in Abrede stellen (5). Ich denke, dass die Welt durch Machtkonstrukte gesteuert wird, eben weil diese auf Menschen hier und anderswo reale Auswirkungen haben. Die hohle Erde hat das nicht. Deswegen kann Dr. Axel Stoll ungestört auf YouTube fantasieren, während Systemkritiker in Russland liquidiert werden, wenn diese Kritik üben. Nicht alles hängt zusammen und es gibt meist mehrere Faktoren, aber der Grundgedanke wird, denke ich, klar.

Was nun tun gegen die Probleme der Welt? Eine pauschale Antwort fällt schwer. Mit Sicherheit hilft es wenig, zuhause zu sitzen und sich in (Lynch)Phantasien für den Tag X zu ergehen. Ein Gegenkonzept könnte lauten, sich die gesellschaftliche Agitation für Kanäle mit Auswirkungen jenseits der eigenen Gedankenwelt aufzuheben und zuerst die eigenen Gewohnheiten zu ändern. Die Akzeptanz der eigenen Verantwortung ist wichtiger als das Suchen nach Schuldigen. Das ist zwar ein vorläufig unbefriedigender und unbequemerer Weg, aber der einzig Nachhaltige.

Der Verfasser hat einen Hochschulabschluss der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und ist im Besitz einer Lizenz für Berufspiloten.

Anmerkungen:

(1) Es ist rein technisch Möglich, einzelne Flugzeugtanks mit versetztem Treibstoff zu befüllen und andere nicht. Durch die Auslegung des Treibstoffsystems in modernen Flugzeugen (ein Haupttank, der von Auxiliarbehältern gespeist wird) ist eine „getrennte“ Verwendung aber trotzdem nicht Möglich. Es kommt früher oder später zur Vermischung. Alles in allem bin ich nicht wenig stolz auf dieses Argument.

(2) Sicher, es gibt eine Vermischung von Flugzeugabgasen mit der oberen Atmosphäre. Da Chemtrail-Anhänger jedoch mehr vom Absinken („Fallout“) der beigefügten Stoffe als vom Aufsteigen ausgehen, ist dieses Argument hier aber nicht anwendbar.

(3) Eine Probe von einem „tatsächlichen“ Chemtrail zu nehmen läge dank moderner Technik übrigens durchaus im Rahmen des Möglichen. Wetterballons für Amateur-Meteorologen sind für einige hundert Euro erhältlich. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die von einer tatsächlichen Luftprobe stammt. Die Begründung hierfür lautet auf die schwere Feststellbarkeit von „Nano-Partikeln“ oder auf „militärische Absperrung“ der Chemtrails (?!).

(4) Ein Chemtrail-Gläubiger würde vermutlich widersprechen, seine stetige innere Aufregung als „bequem“ zu empfinden. Die Psychologie schätzt das sich-bewegen in ausschließlich vertrauten Mustern aber als leichter ein, als etwas Neues zuzulassen.

(5) Wer nicht glaubt, welches kriminelle Potential in Regierungen – „unseren“ Regierungen – steckt, informiere sich einmal über die „Operation Northwood“ oder die „SAS Beluga“. Auch die Ausführungen des Arbeitskreises kritischer Juristinnen und Juristen der Humboldt-Universität Berlin über die Vorgänge um das RAF-Mitglied Wolfgang Grams in Bad Kleinen ist empfehlenswert. Hier finden wir Belege über „Verschwörungen“ in seriösen Quellen.

Literaturtipps:

http://chemtrails-maerchen.blogspot.de/
http://chemtrailbilder.de (sehr gute Quellennachweise)
http://www.martin-wagner.org/anti-chemtrails.htm (zumThema Chemtrails durchaus interessante, logische Analysen)
https://www.facebook.com/Wahnwichtel2014?fref=ts (Protokolle der Parallelwelten ganz normaler Menschen. Erschreckend und Interessant zugleich)
Weitere Einblicke: Dr. Axel Stoll, der Assi-Toni der Wissenschaft. Wissenschaftliche Brillianz auf einem Level mit dem Unterhaltungswert

Letzter Zugriff auf Internet-Links am 15.09.2015

Stephan Bartunek legt neue »Beweise« für die zionistisch-nationalsozialistische Verschwörung vor

Unter den selbsternannten Infokriegern und Truthern ist eigenständige Quellenrecherche eher verpönt. Das sieht man auch regelmäßig an den Reden und Internetplattformen der sog. Mahnwachen für den Frieden. Die Website Antifaschismus 2.0 hat es schön auf den Punkt gebracht: »Da sie sich im Besitz der Wahrheit wähnen, sind sie Kritik und kontroverser Diskussion nicht zugänglich. Kritiker werden als Systemknechte und bezahlte Schreiberlinge denunziert und mit äußerster Aggressivität persönlich angegriffen. Allgemein anerkannte Informations- und Wissensquellen werden als „Mainstream“ abqualifiziert und der Lüge und Manipulation verdächtigt; als akzeptable Informationsquellen gelten in erster Linie die Internetseiten aus dem Umfeld der Bewegung; einschlägige Links gelten als Beweise; durch ständiges gegenseitiges Zitieren und Verlinken entsteht ein endloser selbstreferentieller Kreislauf«.

Wir wissen nicht, ob Stephan Bartunek (Mahnwache Wien / Gruppe 42) sich selbst als Infokrieger oder Truther bezeichnen würde. Seine Quellenrecherche ist jedenfalls problematisch bis mangelhaft, wie wir bereits an anderer Stelle festgestellt haben (siehe hier, hier und hier).

Bartunek will mal wieder einen vermeintlichen Beweis dafür gefunden haben, dass die Zionisten in Wirklichkeit Verbündete der Nazis waren und die ganze Welt über diese sinistre Verschwörung getäuscht wird. Auch in diesem Fall verwundern uns Bartuneks Belege außerordentlich. Er möchte wohl andeuten, dass eine Nazi-Flagge im Jahr 1933 – mitten in Jerusalem – ein Beleg dafür sei, dass die Zionisten mit den Nazis kolaboriert hätten.

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Leider lässt Bartunek auch in diesem Fall jedes elementare historische Grundlagenwissen vermissen. Im Jahr 1933 gab es nämlich bekannterweise noch keinen Staat Israel. Die Region Palästina inkl. Cisjordanien und Transjordanien waren ab 1920 britisches Mandatsgebiet. Bis 1948 erstreckte sich das britische Völkerbundsmandat noch vom Jordan bis zum Mittelmeer. Auf dem Mandatsgebiet (in seinen Grenzen von 1920 bis 1923) entstanden später das heutige Israel und Jordanien, der Gazastreifen und das Westjordanland.

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Das Mandatsgebiet Palästina in den Grenzen von 1920 bis 1923 (einschließlich Cis- und Transjordaniens). Bild-Quelle: Wikipedia.

Das Hotel Fast gehörte auch keineswegs den pöhsen Zionisten (Bartuneks Lieblingsfeindbild), sondern Angehörigen der sog. Tempelgesellschaft – einer christlich-chiliastischen Religionsgemeinschaft, die ihren Ursprung um 1850 im Königreich Württemberg hat. In den 1930er Jahren diente das Hotel Fast als Konsulat von Nazi-Deutschland (daher auch die Hakenkreuz-Fahne). Das änderte sich allerdings mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Die Familie Fast (wie auch ein Großteil der deutschstämmigen Tempelgesellschaft), wurden von den Briten in einem Lager in Galiläa inhaftiert und später des Landes verwiesen.

Inwiefern soll also eine Hakenkreuzflagge auf einem Konsulat Nazi-Deutschlands im britischen Mandatsgebiet ein Beleg dafür sein, dass die Zionisten mit den Nazis kollaboriert hätten? Und inwiefern soll das unser Weltbild erschüttern? Die Antworten auf diese Fragen lässt Bartunek leider mal wieder bisher missen.

Unser Tipp an Stephan Bartunek: Selbstständig Quellen prüfen statt alles blind zu glauben, solange es nur dem eigenen verschrobenen Weltbild entspricht.

Stephan Bartunek und die »Antisemitismuskeule«

Stephan Bartunek (Mahnwache Wien) baut sich mal wieder ein paar argumentative Pappkameraden auf, auf die er nach bester Gish-Galopp-Manier genüsslich einprügelt. Laut Bartunek sind Menschen, die sich gegen Antisemitismus engagieren, offensichtlich automatisch Rassisten, islamfeindlich und dazu noch bedingungslose Befürworter der Politik der israelischen Regierung.

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Jeder Mensch sollte bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit seine Stimme erheben und das ganz unabhängig davon, um welche Gruppe es sich dabei handelt. Studien haben gezeigt, dass verschiedene Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit miteinander korrelieren. Empirisch ist es sehr selten, dass jemand nur antisemitisch ist und ansonsten sehr tolerant, sondern im Durchschnitt haben Menschen mit antisemitischen Einstellungen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch fremdenfeindliche Einstellungen und werten interessanterweise auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Muslime, Frauen, homosexuelle Menschen etc. ab. Siehe zu diesem Thema auch den sehr empfehlenswerten Vortrag von Beate Küpper.

Wer sich mit Flüchtlingen solidarisch zeigt, dem kann natürlich auch nicht die israelische Flüchtlingspolitik egal sein. Allerdings engagiert man sich als Deutscher oder Europäer natürlich in erster Linie gegen die skandalöse Flüchtlingspolitik der eigenen Regierung. Doch für Bartunek und Konsorten scheint »Israel-Kritik« und der Kampf gegen vermeintlich »antideutsche Umtriebe« zu einem ihrer leidenschaftlichsten Hobbys geworden zu sein.

Wahrscheinlich möchte Bartunek mal wieder implizieren, dass es sich bei Menschen, die sich gegen Antisemitismus engagieren, ausschließlich um sog. »Antideutsche« handeln würde (siehe dazu auch hier, hier und hier). Natürlich gibt es Menschen, die sich der aus der radikalen Linken hervorgegangenen antideutschen Strömung zuschreiben. Mittlerweile wird der Begriff »antideutsch« allerdings als despektierliche Fremdzuschreibung  für jeden verwendet, der sich kritisch mit Antisemitismus und Verschwörungsideologien auseinandersetzt. »Das Feindbild „Antideutsche“ richtet sich […] gegen vermeintliche vaterlandslose Gesellen, Kriegstreiber im Dienst fremder Mächte, Chaoten und Unruhestifter sowie Handlanger jüdischer Vorherrschaft: lauter klassische antisemitische Klischees«. Siehe hierzu auch den lesenswerten Artikel Was heißt „antideutsch“?.

Außerdem scheint Bartunek die Meinung zu vertreten, dass »Weißdeutsche« [sic] kein Recht hätten, Antisemitismus anzuklagen bzw. Antisemiten zu kritisieren. Ähnlich hat sich auch Pedram Shahyar in seinem Video an das Zentrum für Politische Schönheit geäußert. Dieses Argument ist so sinnlos wie geschichtsvergessen. Denn es sind gerade die grauenhaften Lehren der NS-Barbarei, die uns heute dazu ermahnen, antisemitisches Gedankengut aktiv zu bekämpfen.

Bartunek spielt des Weiteren permanent darauf an, dass man Israel angeblich nicht kritisieren könne ohne als Antisemit bezeichnet zu werden. Stefan Bentele Blanco (Autor beim Wichtel-Blog Spülgel an der Lein) sieht das natürlich genauso. Lustigerweise scheinen diese Leute in ihrer selektiven Wahrnehmung überhaupt nicht zu realisieren, dass sie sich durch den Verweis auf die pöhsen Mainstreammedien selbst ad absurdum führen. Ein israelkritischer Beitrag der »Lügenpresse« soll die vermeintliche Tatsache bekräftigen, dass man in Deutschland nicht Israel kritisieren dürfe ohne als Antisemit gebrandmarkt zu werden. Finde den Fehler!

Dazu ein Zitat der Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel aus ihrem Buch Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert:

»In diesem Zusammenhang ergeben sich zwei Fragen, die seit einigen Jahren fast turnusmäßig immer wieder (auch in den Massenmedien, die hier zum Teil in Bezug auf kritische Reflexion und Aufklärungsfunktion versagen) aufs Neue gestellt werden: erstens, ob Kritik an Israel bzw. israelischer Politik prinzipiell und per se als judenfeindlich oder zumindest brisant eingestuft werden muss, und zweitens, wann eine israel-kritische Äußerung in Wahrheit nur eine verschleierte Form von Antisemitismus ist. Die erste, im öffentlichen Diskussionsraum bereits unzählige Male gestellte Frage, die eigentlich völlig überflüssig ist, da sie längst schon beantwortet wurde und durch die Kommunikationspraxis widerlegt ist, lässt sich einfach, unzweideutig und ohne jede weitere Erläuterung beantworten: Selbstverständlich ist (auch eine unter Umständen sehr scharfe) Kritik an bestimmten Entscheidungen israelischer Regierungsvertreter oder extremer nationalistischer Gruppierungen im Land oder Aktionen der israelischen Militärs kein Antisemitismus, sondern legitimer Ausdruck von politischer Auseinandersetzung und problemorientierter Kommunikation. Entsprechend gibt es, wie bei jedem anderen Land der Erde auch, Vieles, was aus der Innen- und Außenperspektive kritisch angesprochen wird. Dies geschieht kontinuierlich in allen deutschen (und westlichen) Massenmedien, insbesondere in Bezug auf den noch nicht gelösten Konflikt mit den Palästinensern, und bislang ist auch noch nie einem seriösen Kritiker israelischer Siedlungspolitik oder Militäraktionen vorgeworfen worden, es handele sich bei seinen Äußerungen um Antisemitismus. Dieser Vorwurf wird immer dann erhoben, wenn es sich um antiisraelische Äußerungen handelt, die antisemitischen Stereotype vermitteln und/oder Brachialverbalismen enthalten, die faktisch falschen Informationen vermitteln und/oder das Potenzial haben, eine judenfeindliche Stimmung zu erzeugen. Doch hält sich hartnäckig, fast obsessiv, trotz der andersgearteten Realität und aller faktischen Widerlegungen, das Klischee, Kritik an Israel sei in Deutschland aufgrund der NS-Geschichte ein Tabu […]. Die Behauptung, es gebe ein Kritiktabu, bedient dabei selbst ein tradiertes judeophobes Klischee, das seit dem 19. Jahrhundert existiert und auf der Konzeptualisierung basiert, es gebe eine jüdisch bestimmte Presse, die in Deutschland den Ton angibt. Seine Artikulation stützt somit die verschwörungstheoretisch determinierte Position der Sprachproduzenten, die sich zugleich als Verfechter der Meinungsfreiheit generieren können. […] Dass (sogar im Gegenteil) kein Staat der Welt so unverhältnismäßig oft und heftig kritisiert wird wie Israel, wird […] ignoriert oder geleugnet. Auffällig und signifikant ist in diesem Zusammenhang, dass dieses angebliche Meinungsdiktat stets nur von Personen unterstellt wird, deren Äußerungen nicht als israel-kritisch, sondern als verbal-antisemitisch einzustufen sind.

[…]

Vgl. etwa Schlagzeilen wie „Darf man Israel kritisieren?“ oder „Wie viel Kritik an Israel ist Deutschen erlaubt?“ sowie diverse ähnliche Varianten, die in Printmedien, Rundfunk- Fernsehsendungen regelmäßig benutzt werden. Solche Sprachstrukturen unterstellen aufgrund ihrer semantischen Information, es gebe ein Meinungsdiktat und eine Tabuisierung. Dadurch wird de facto etwas nicht Existierendes sprachlich geradezu heraufbeschworen. Ähnlich verhält es sich mit der Metapher „Antisemitismuskeule“, die impliziert, Israel-Kritikern würde stets der Antisemitismusvorwurf gemacht, obgleich der Vorwurf immer nur dann erhoben wird, wenn tatsächlich eine antisemitische Äußerung produziert wurde. Fragen und Behauptungen dieser Art werden keineswegs aus naiver Dummheit oder Unkenntnis geäußert, vielmehr dienen sie den Medien als populistische Aufmerksamkeitsverstärker. Antisemiten inszenieren ihre Kritik an Israel dagegen kalkuliert als Tabubruch, um sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus immun zu machen. Die Kritik dient so der Ablenkung von ihrer judenfeindlichen Einstellung und zugleich der Delegitimierung ihrer Kritiker.«

Quelle: Monika Schwarz-Friesel, Jehuda Reinharz: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin, New York: de Gruyter, 2013.

Fuad Afane darf nicht mehr nach Israel einreisen

Endgame-Redner Fuad Afane behauptet, dass ihm am Flughafen Ben Gurion die Einreise nach Israel verwehrt wurde und er zudem noch ein lebenslanges Einreiseverbot auferlegt bekommen habe.

Auf Facebook schrieb er:

»Nach knapp 36 Stunden Haft in einem elegalen nicht existenzen Staat ISRAHELL, bin ich wieder online
Kein Essen
Kein Trinken
Ein Video Statement folgt !

Ein Stempel eines nicht existenzen Staates!«

»Ohne Grund Einreiseverbot Lebenslang. 12 Stunden Verhör Ergebnis Lebenslanges Verbot. Aber ich versuche über den Landweg in Jordanien in die Westbank einzureisen!«

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Afane spricht hier dem Staat Israel also die Existenzberechtigung ab. Es ist nicht das erste Mal, dass er mit derartigen Äußerungen auffällt.

Das Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin schreibt über Fuad Afane:

»Afane formulierte Positionen, die anschlussfähig für die antijudaistische Ritualmordlegende sind und Israel dämonisieren. Konkret hieß es in seiner Rede: „Und zwar geht es um eine Sekte in Jerusalem […]. Diese Sekte hat diese Kinder entführt mit folgendem Nutzen.
Organspenden. Organe, Innereien.[…]  Das passiert in Jerusalem auf palästinensischem Gebiet. Das passiert auf israelischem Staatsgebiet. Geschützt und ganz legal durch Polizei und Militär.“«

Ein paar weitere Beispiele:

Fuad Afane: »Normalerweise beruft sich der Judentum auf die Thora, allerdings der Zionist beruft sich nicht auf die Thora, sondern der beruft sich ja auf die Weisen Zions, die wiederrum auf den Talmud an sich und der Talmud an sich, daraus wurde dann diese sogenannte Hasbara-Argumentation abgeleitet.« (Quelle: Fuad Afane auf Kulturstudio)

Die Protokolle der Weisen von Zion wurden bereits im Jahr 1921 als Fälschung entlarvt, bilden aber dennoch bis heute die Grundlage modernen antisemitischen Denkens. Es gibt zu diesem Thema neben ausführlicher Forschungsliteratur einige interessante Dokumentationen. Siehe beispielsweise hier und hier.

Fuad Afane: »Ashkanazim sind keine Semiten. Ausländer Raus aus Palästina.«

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Als Aschkenasim bezeichnen sich mittel-, nord- und osteuropäische Jüdinnen und Juden und ihre Nachfahren. Sie bilden die größte Gruppe im heutigen Judentum. Afane wünscht sich also ein judenfreies Palästina. Jedenfalls was aus Europa stammende Jüdinnen und Juden und ihre Nachfahren betrifft. Und dann wirft ausgerechnet er Israel Rassismus vor?

Zu diesem Thema schreibt die Amadeu Antonio Stiftung:

»Wer in Deutschland von „Semiten“ spricht hat meist unbewusst immer noch Ideen im Hinterkopf, die vage den Vorstellungen der völkischen Bewegung des 19. Jahrhunderts entsprechen. Außerhalb linguistischer Fachgespräche – „semitisch“ ist eine sprachwissenschaftliche Kategorie – macht der Verweis auf „Semiten“ genauso wenig Sinn, wie von „Ariern“ zu sprechen.«

Fuad Afane: »Ihr müsst euch endlich davon lösen, dass ihr an allem Schuld seid. So ist es nicht! […] Die Folge des Zweiten Weltkrieges, die Opfer, das ist das palästinensische Volk. Aus den Opfern von damals sind die Täter von heute geworden.« (Quelle: Fuad Afane bei einer Ansprache auf einer Endgame-Kundgebung in Hannover)

Hier spricht Afane vielen deutschen Endgame-Demonstranten geradezu aus dem Herzen.

Dazu die Amadeu Antonio Stiftung:

»Sich seiner historischen Verantwortung entledigen zu wollen ist in Deutschland ein weit verbreitetes Bestreben und so manch einer empfindet die Erinnerung an deutsche Verbrechen als lästige Einschränkung für den eigenen Nationalstolz. Wird der Holocaust auch nicht unbedingt direkt geleugnet, so wird dennoch von einigen versucht, Qualität und Quantität des deutschen Vernichtungsprogramms durch hinkende Vergleiche kleinzureden. Holocaustleugnung light, sozusagen.

Diese grassierende Vergleicheritis kennt viele Ausdrucksformen, ganz besonders verlockend ist aber scheinbar, ausgerechnet Jüdinnen und Juden zu unterstellen, sich wie Nazis zu verhalten. Slogans wie „Gestern Opfer, heute Täter“, gerne kombiniert mit dem Hinweis, die Opfer hätten nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt, zielen auf die völlige moralische Entlastung Deutschlands ab. Wenn die Leidenden von damals heute genauso schlimm sind wie ihre damaligen Peiniger, dann ist man ja schließlich quitt, so die Logik. So kann man sich seiner historischen Verantwortung natürlich auch entledigen. Geschichtsrevisionismus auf Umwegen.

Das bloße Austauschen des Wortes „Jude“ durch „Zionist“ ändert übrigens rein gar nichts daran, ob deine Aussagen antisemitisch sind oder nicht. Netter Versuch.«

Fuad Afane: »Du hast von Geschichte keine Ahnung! Der Zionismus hat die Juden in Europa ermordet!« (Quelle: Fuad Afane auf einer Endgame-Kundgebung in Hannover)

Hier spielt Afane wohl mal wieder darauf an, dass Zionisten mit den Nazis kollaboriert hätten und nach seiner Logik somit wohl eine Mitschuld am Holocaust tragen würden.

Auf Facebook ergänzt Afane dazu:

»Die Zionisten waren keine Opfer, sondern schon damals Mittäter am Mord von 6 Mio Juden hier in Europa !
Der Beweis ist nochmals das Abkommen der Zwangsumsiedlung der Juden aus Europa nach Palästina.(HAVARA ABKOMMEN 1933-1942). Genau darauf bezog sich mein Zitat und nur auf diesen historischen Kontext.

Der bessere Satz sollte tatsächlich lauten:“Die Mittäter von damals, sind die TÄTER von heute“! ZIONISTEN sind nicht mit den JUDEN, also den wirklichen Opfern gleich zu setzen, denn das wäre eine Verschmähung und Beleidigung, sowie eine RESPEKTLOSE Handlung den NACHFAHREN der 6 Mio ermordeten Juden Europas.«

Richtig ist, dass die Zionistische Vereinigung für Deutschland mit dem nationalsozialistischem Regime das sog. Ha’avara-Abkommen ausgehandelt hat. Die Nationalsozialisten haben zahlungskräftigen Juden eine Ausreise nach Palästina gestattet. Die deutsche Seite erhoffte sich dadurch »den deutschen Export zu fördern, insbesondere den damals befürchteten internationalen Handelsboykott zu durchbrechen«. Selektiert wer das Ha’avara-Abkommen in Anspruch nehmen durfte haben also die Nazis und keineswegs – wie Afane vielleicht suggerieren möchte – die zionistische Seite.

Aber kann man deswegen sagen, dass die Zionisten mit den Nazis kollaboriert haben? Alexander Schölsch, Professor für Politikwissenschaft und Geschichte des Nahen Ostens an der Universität Erlangen, schreibt dazu:

»Jede Kritik an der Zusammenarbeit von Zionisten mit nationalsozialistischen Stellen im Rahmen des Haavara-Abkommens (und diese Kooperation war sowohl innerhalb der zionistischen Bewegung als auch innterhalb der jüdischen Gemeinschaften Europas und Amerikas heftig umstritten) kann an dem Grundtatbestand nicht vorbeigehen, dass es eine Aktion war, die bedrängten deutschen Juden eine Emigrationsmöglichkeit in einer Zeit schuf, als ihnen die Tore Westeuropas und Amerikas keineswegs offenstanden. Verfolgten die Zionisten dabei sinistre Ziele? Sie hätten sich selbst und ihre Ideologie verleugnen müssen, wenn sie nicht die Gelegenheit genutzt und möglichst viele Auswanderer nach Palästina geleitet hätten. Verkörperte der Zionismus eine verwerfliche Idee, dann war alles verwerflich, was seine Repräsentanten taten. Das Haavara-Abkommen als solches stellt die Zionisten aber nicht bloß. Die Beschuldigung, mit dem Abkommen seien “die Interessen der jüdischen Massen in Europa den politischen Ambitionen der Zionisten [geopfert worden]”, wäre nur dann zutreffend, wenn diese Abkommen die Emigration von Juden in andere Länder behindert oder die Situation der Juden in Deutschland verschlimmert hätte. Es waren doch nicht die Zionisten, denen es endlich gelang, die deutschen Juden von der Notwendigkeit der Emigration zu überzeugen, sondern es waren die Nazis, die sie zu dieser “Einsicht” zwangen. Nicht die Zionisten haben das nationalsozialistische Regime zu dem Entschluss gebracht, die Emigration zu forcieren; vielmehr bedienten sich die Nazis der Zionisten. Diese versuchten, die Emigration in der für sie günstigsten Weise zu gestalten – die gleichzeitig den Interessen der nationalsozialistischen Stellen entsprach. Wenn behauptet wird, “das Zögern der deutschen Juden, sich auf Geheiß des Zionismus zu entwurzeln, musste durch Überredung überwunden werden, die die Nazis gerne zu leisten bereit waren”, so ist dies eine bösartige Verkehrung von Ursache und Wirkung, die einer Entschuldigung der nationalsozialistischen Judenverfolgung gleichkommt, indem sie die Zionisten zu Initiatoren dieser “Entwurzelungspolitik” stempelt.«

Die Rote Ruhr Uni schreibt dazu ergänzend:

»Auch in der Vergangenheit suchte sich das aggressive Bedürfnis nach Exkulpation zu befriedigen. So werden das Ha’avara-Abkommen, das 1933 zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und der Zionistischen Vereinigung für Deutschland abgeschlossen wurde und gegen den Export deutscher Waren nach Palästina bis 1939 60.000 Juden die Ausreise ermöglichte, sowie Kontakte einiger rechtsextremer Zionisten zur SS (als diese noch die Auswanderung der Juden betrieb) dazu benutzt, ein “Komplott”, eine “Kollaboration”, eine “verbrecherische Allianz des Zionismus und des Nazismus” zu erfinden. Da scheint die Haganah fast zum Verursacher der NS-Judenpolitik zu werden, habe sie doch versucht, “die Mithilfe der SS bei der Beschleunigung der Austreibung der Juden zu gewinnen”. Erst entzogen sich die Zionisten schon durch feige Flucht der Verpflichtung, anstelle der versagenden deutschen Arbeiterbewegung den NS zu stürzen, dann brachten sie noch mit dem Ha’avara-Abkommen “jeglichen Versuch eines wirtschaftlichen Boykotts des Nazireichs zum Scheitern”! Selbst sind sie schuld, die Juden-Zionisten, hat doch “ihre Konspiration mit den Nazis … dazu beigetragen, das Nazi-Regime zu stärken und die Front des antifaschistischen Kampfes … zu schwächen”, hielten sie doch “den Faschismus im Sinne ihrer Pläne für wünschenswert …, der den Juden den Tod brachte”, womit die Zionisten “den Tod von vielen Tausenden von Juden durch Hitler auf dem Gewissen haben”. Die von den Antizionisten betriebene Verschiebung des NS nach Israel, die Rede von einer “ideologischen Verwandtschaft zwischen dem Antisemitismus des NS-Faschismus und dem Zionismus” bis hin zur obszönen Behauptung einer Mitschuld an der Vernichtung, leistet eine derart unverfrorene Verdrängung des NS, Exkulpation der deutschen Nation und Restituierung deutschen Nationalgefühls wie sie selbst Nolte et. al. weit von sich weisen würden: an jenem Staat, der allein durch seine Existenz die Erinnerung an Auschwitz nicht vergehen läßt und so dem Bedürfnis nach deutschem Nationalgefühl im Wege steht. “So sind sie uns perverserweise ähnlich geworden” stellen mit der späten Geburt begnadete deutsche Antizionisten fest, und die solch scheinheiligem Entsetzen stets auf den Fuß folgende Entdeckung der Palästinenser als die “Juden der Juden” bedeutet in seiner Konsequenz nicht nur Entschuldung, sondern Aufruf zu neuerlicher Gewalt – die Juden sollen nämlich bloß nicht glauben, “als hätten sie durch unsere Taten eine Art Mordbonus erhalten”. “Angesichts der zionistischen Greueltaten verblassen … die Nazigreuel” stellte der Grüne Kalender 1983 befriedigt fest und rief nicht nur dazu auf: “Kauft nicht bei Juden”, sondern fragte erwartungsvoll, “wann den Juden endlich ein Denkzettel verpaßt wird”.«

Siehe zu diesem Thema auch die Arbeit Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich von Francis R.  Nicosia.

Abschließend noch zwei Zitate der Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel und der Amadeu Antonio Stiftung:

»Um das einseitige Aggressorbild Israels aufrechterhalten zu können, werden Referenzialisierungen konstruiert, die auf Falschaussagen basieren. Die Verfälschung von Fakten erfolgt durch Umkehrung, Auslassung oder Relativierung von Sachverhaltsinformationen. Auf diese Weise erzeugen die sprachlinchen Strukturen ein Feindbild Israel, das zwar mit der Realität nicht kompatibel ist, dafür aber exakt das repräsentiert, was dem judeophoben Weltbild entspricht und das damit genau die ihm zugewiesene Funktion erfüllt. […] Um das Ausmaß israelischer Gewalt verbal höchstmöglich zu potenzieren, werden mit NS-Vergleichen irreale Kontrastierungen etabliert. Sie konstituierten absolute Täter-Opfer-Oppositionen. […] Juden erscheinen so (in der Täter-Opfer-Umkehr) als Tätervolk. Neben ihrer diskreditierenden Funktion dienen diese unangemessenen Vergleiche stets auch der Schuldabrechnung. […].«

»Nicht dass Kritik geübt wird, sondern wie diese argumentativ begründet und sprachlich formuliert wird, ist für diese Diskussion entscheidend. Wenn Israel als Projektionsfläche für antisemitische Ressentiments dient und tradierte antijüdische Stereotype und Argumente benutzt werden, um den Staat Israel generell zu diskreditieren, wenn seine jüdischen Bürger kollektiv dämonisiert werden und seine Existenzberechtigung als jüdischer Staat in Frage gestellt wird, wenn ein irreales Feindbild von Israel konstruiert wird, dann liegt keine Israel-Kritik, sondern verbaler Antisemitismus in der Formvariante des Anti-Israelismus vor.«

Quelle: Monika Schwarz-Friesel, Jehuda Reinharz: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin, New York: de Gruyter, 2013.

»In Debatten um Kritik an Israel wird immer wieder von „antisemitischer Israelkritik“ geredet. Dieser Begriff ist irreführend. Das Wort Kritik leitet sich vom griechischen Wort krínein ab. Es meint (unter-) scheiden, beurteilen. Im Antisemitismus wird jedoch nicht unterschieden oder beurteilt. Das Urteil steht stets schon vor Prüfung der Sachlage fest: Die Schuldigen sind immer „die Juden“ oder eben Israel als imaginierter „kollektiver Jude“. Entweder ist eine Äußerung kritisch oder antisemitisch – beides geht nicht.

Israel als „kollektiver Jude“?

Im Antisemitismus werden „den Juden“ seit jeher gewisse negative Eigenschaften zugeschrieben. Seit der Staatsgründung Israels werden diese häufig auch auf Israel projiziert. Im klassischen Antisemitismus gelten „die Juden“ häufig als Weltbrandstifter – verantwortlich für die beiden Weltkriege. Heute wird Israel vorgeworfen, den Weltfrieden zu bedrohen und den 3. Weltkrieg herbeiführen zu wollen. Auch die antisemitische Ritualmordlegende wird auf Israel übertragen. Israel wird vorgeworfen, die palästinensischen Gebiete u.a. nur deshalb zu besetzen, um gesunde Organe der Palästinenserinnen und Palästinenser für die eigene Bevölkerung zu rauben. Diese moderne Variante der Ritualmordlegende findet sich sowohl im islamisierten Antisemitismus, als auch in bürgerlichen europäischen Tageszeitungen. Wenn antisemitische Ressentiments auf Israel projiziert werden, handelt es sich um Antisemitismus. Oftmals wird entgegnet, dass dies nicht Antisemitismus sein könne, da nur über Israel eine Aussage getroffen werde und nicht über alle Jüdinnen und Juden. Sobald jedoch antisemitische Ressentiments auf Israel projiziert werden, dem Staat Israel „jüdische Eigenschaften“ zugeschrieben werden, wird Israel im Weltbild von Antisemitinnen und Antisemiten zum „kollektiven Juden“ stilisiert. Ist das der Fall, handelt es sich eindeutig um Antisemitismus. Kritik, auch harsche Kritik, an der israelischen Politik, die sich keiner antisemitischen Ressentiments bedient, ist jedoch kein Antisemitismus.«

Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/aas-israelfeindschaft.pdf

Mehr unsägliche Hetze von Fuad Afane findet man auf Friedensdemo-Watch.

Mehr Informationen zu diesem Thema

Über legitime Kritik, israelbezogenen Antisemitismus und pädagogische Interventionen

http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/aas-israelfeindschaft.pdf

Israel-Kritik versus Anti-Israelismus

https://genfmblog.wordpress.com/2014/10/23/israel-kritik-versus-anti-israelismus/

Antizionistischer Antisemitismus

https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/lexikon/a/antizionismus

http://www.bpb.de/themen/TDNK0N,0,0,Antizionistischer_Antisemitismus.html

Zur Logik des deutschen Antizionismus

http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/Zur-Logik-des-deutschen.html

Niema Movassat versus BAK Shalom

Der LAK Shalom Niedersachsen hat auf Facebook als Antwort auf die Beschlüsse der göttinger Basisgruppe Revolutionärer Antikapitalist*innen sowie des Landesarbeitskreises Antimilitarismus und Frieden (Stichwort Panzerstickeraffäre) einen polemischen und provokanten Beitrag gepostet.

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Daraufhin warf Niema Movassat (MdB, Die Linke) dem LAK Shalom im Hinblick auf die deutsche NS-Vergangenheit Geschichtsvergessenheit vor.

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Movassat war allerdings im letzten Jahr Anmelder einer Kundgebung unter dem Motto »Frieden in Nahost«, bei der es im vorab schon zu 17 Festnahmen kam und während der Demo zu massiven antisemitischen Ausschreitungen. Laut eines Untersuchungsberichts des Innenausschusses des nordrhein-westfälischen Landtages versuchten diverse Teilnehmer der Demo nach dem vorzeitigen Abbruch der Kundgebung mehrfach einen Sturm auf die Synagoge in Essen, der von der Polizei verhindert werden konnte. 1200 pro Hamas-Demonstranten gelangten indes zur Gegenkundgebung des »Bündnis gegen Antisemitismus«, »die mit Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen angegriffen wurde. Im Bericht des Innenministeriums sind 66 laufende Ermittlungsverfahren aufgeführt – ausnahmslos gegen ehemalige Teilnehmer der Kundgebung der Linkspartei – vor allem wegen schwerer Körperverletzung und Volksverhetzung. Unter den Teilnehmern der Kundgebung waren – dem Innenminister zufolge – mindestens acht junge Männer, die “der rechten Szene zuzuordnen” sind«. Movassat und Die Linke NRW übernehmen dafür bis heute keine Verantwortung!

Videomitschnitt der antisemitischen Ausschreitungen in Essen.

Wer eine Demonstration anmeldet, auf der ein marodierender Mob Parolen wie »Adolf Hitler, Adolf Hitler«, »Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein« und »Tod den Juden« brüllt und anschließend auch noch versucht diese Vorfälle zu relativieren oder gar zu leugnen, der sollte besser ganz kleine Brötchen backen, wenn es darum geht, aufgrund der deutschen Vergangenheit gegenüber anderen Menschen den moralischen Zeigefinger zu erheben.

Ein offener Brief an Die Bandbreite

Es ist interessant wenn sich Leute wie Jürgen Elsässer über Faschisten in der Ukraine echauffieren, während sie hierzulande zum Zusammenschluss mit Neonazis aufrufen oder gar bestreiten, dass es sich um Neonazis handeln würde. Ein randalierender und marodierender HoGeSa-Mob ist für Elsässer dann eben auch mal eine „antifaschistische Demo“. Mit Elsässer seid ihr laut der taz ja auch gerne mal aufgetreten. Auch Du, lieber Wojna, hast auf diversen Montagsmahnwachen und bei den Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas“ (Endgame) flammende Plädoyers gegen die „faschistische Regierung“ in der Ukraine gehalten. Du regst Dich also über den Faschismus mitten in Europa auf. Und das tust Du zweifelsohne vollkommen zurecht! Aber wenn Dich Faschos so stören, wieso trittst Du beispielsweise auf den „Anti Zensur Koalitionen“ (AZK) des evangelikalen Sektengründers Ivo Sasek auf? Sasek verbeitet nicht nur über seine Online-Sender klagemauer.tv und jugend-tv.net geschichtsrevisionistische bis rechtsradikale Propaganda, er bietet auf seinen AZK-Veranstaltungen auch regelmäßig Holocaustleugnern und Geschichtsrevisionisten wie Sylvia Stolz oder Bernhard Schaub ein Forum. In einem Videostatement sagtest Du, dass Du die AZK schätzen würdest, denn dort würden „Dissidenten“ zu Wort kommen. Die Regierung in der Ukraine ist faschistisch, weil Rechtsradikale mitregieren und hierzulande sind Faschos auch mal „Dessidenten“? Hmmm… Komisch auch, dass Du die legidlich die rechtsextreme Regierungsbeteiligung in der Ukraine kritisierst, aber nicht die Unterstützung der prorussischen Separatisten durch neonazistische Gruppierungen, wie etwa der Russischen Nationalen Einheit.

In Eurem Musikvideo zu Du bist mein Freund solidarisiert Ihr Euch außerdem mit Michael Vogt, der u.a. mit seinem geschichtsrevisionistischem Film Geheimakte Hess in die Kritik geraten ist. Dazu passt dann auch Euer geschichtsrelativierendes Lied Danke für das Monster, aber das Thema haben wir schon an anderer Stelle ausführlich behandelt.

Und warum macht es Euch anscheinend wenig aus, dass Rechtsextremisten mit Euch bei Endgame marschieren und warum duldet Ihr offenen Antisemitismus? Auf diversen Fotos sieht man Dich, lieber Wojna, zusammen mit Thomas “Steiner” Wulff (NPD) – auch wenn Du Dich im Nachhinein ahnungslos gibst und das Entstehen des Fotos mit einer absurden Verschwörungstheorie rechtfertigst, wonach es sich bei dem Fotografen um einen Agenten des Verfassungsschutzes handeln würde. Wulff ist allerdings längst nicht die einzige zweifelhafte Gestalt die sich im Umfeld von Endgame herumtreibt. Auf vergangenen Veranstaltungen durfte beispielsweise der ehemalige „Blood & Honour“-Kader Sven Liebich (ein Geschäftspartner von Ken Jebsen) sprechen oder der Reichsbürger, Rechtsextremist und verurteilte Holocaustleugner Christian Bärthel die Haftentlassung Horst Mahlers fordern. Auch der Deutsch-Palästinenser Fuad Afane ist ein gern gesehener Redner bei Endgame. Afane behauptet u.a., dass die Zionisten“ die Protokolle der Weisen von Zion befolgen würden und fällt regelmäßig mit rassistischen Parolen wie „Aschkenasim sind keine Semiten. Ausländer raus aus Palästina!“ auf.

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Inzwischen engagiert sich ebenfalls die Ex-Pegida-Frontfrau Kathrin Ortel bei Endgame und hat für ihren Wechsel von Pediga zu Endgame in der Talkshow von Maybritt Illner eine ziemlich wirre Begründung abgeliefert.

Mittlerweile frönt man bei Endgame einen noch unverblümteren Antisemitismus als auf den Montagsmahnwachen. Auf der offiziellen Facebookpräsenz fantasiert man beispielsweise von Wladimir Putin als einen respektablen Führer“ der die Welt vom Joch des Imperiums der jüdischen Lobby“ befreien wird. Mehr dazu auf Friedensdemo-Watch.

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Bild-Quelle: PEGADA-Watch

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Bild-Quelle: PEGADA-Watch

Und dann Euer Ulfkotte-Posting vom 9. November 2014:

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Nun ja, Wojna. Du echauffierst Dich häufig darüber, dass die Medien Feindbilder wie „den Moslem“ schaffen würden. Ich kann mich aber nicht erinnern, wann ich mal vergleichbar islamfeindliche und rassistische Ausfälle wie die eines Udo Ulfkotte (Stichwort „Fäkalien-Dschihad“) im öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder in seriöseren Printmedien erlebt habe. Ich will damit keineswegs die angeblich ach so pöhsen Mainstreammedien in Schutz nehmen. Ich will damit nur verdeutlichen, dass Ihr mit doppelten Maßstäben messt – eben genau wie ein Jürgen Elsässer. Die Kritik an Rechtsextremismus wird nicht durch die Zusammenarbeit mit Rechten glaubwürdiger und die Kritik an Islamfeindlichkeit wird nicht durch den Support von islamophoben Hetzern glaubwürdiger. Könnte es sein, dass Ihr nur aus dem Grund gegen die Faschisten in der Ukraine seid, weil sie vermeintlich von den USA gefördert werden? Eben genau von der „Elite“ die laut eurem Track „Danke für das Monster“ ebenfalls das Dritten Reich und Hitler zu verantworten hat? Könnte es sein, dass auch ein Jürgen Elsässer oder ein Michael Vogt nur gegen die angeblich US-geförderten Faschisten sind, weil der Amerikanismus für sie die „Verneinung der Volksgemenschaft“ und der „Globalismus“ die „Volkszersetzung“ durch eine international-monopolkapitalische Elite darstellt? Habt Ihr euch mal gefragt in welcher Tradition diese agitative Trennung in „raffendes“ und „schaffendes Kapital“ steht? Auch mit Xavier Naidoo solidarisiert ihr Euch weil er behauptet, dass Deutschland ein besetztes Land sei. Systemkritik bedeutet für Euch offensichtlich nur: Hauptsache gegen Amerika. Aber ich höre schon auf, denn sobald man derartige Argumentationen kritisch beleuchtet oder mit komplexeren Erklärungsmodellen als „Infokrieg“-Niveau argumentiert, ist man ja für Euch ein verpöhnter „Antideutscher“.

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Aber wer ist für Euch überhaupt ein Antideutscher? Zu welcher Antifa bekennt Ihr euch also? Das konnte man auf diversen Endgame-Demonstrationen beobachten, wie beispielsweise hier in Hannover:

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Wojna (Die Bandbreite) am 14.03.2015 bei Endgame in Hannover.

Eine „Antifa“ mit Thor Steinar-Klamotten und Antifaflaggen, die Transparente mit nationalistischen Parolen wie „Schluss mit der Besatzung Deutschlands! Freiheit für das deutsche Volk!“ hochhält, ist wohl eher ein schlechter Witz. Eine Antifa die generell gegen Nation, Staat und Kapital auftritt, zählt nach dieser Logik für Euch wohl per se zu den „Antideutschen“.

Eben weil Ihr mit doppelten Maßstäben messt, weil ihr offenen Antisemitismus und nationalistisches wie reaktionäres Gedankengut toleriert und weil sich Euer verkürzter Antikapitalismus und selektiver Antifaschismus auf dem primitiv-nationalbolschewistischem Niveau eines Elsässers bewegt, seid Ihr für mich weder Antifaschisten noch Linke.

Die »jüdischen Kronzeugen« des Antizionismus

Es gibt im Judentum ultraorthodoxe Strömungen, die den Staat Israel bzw. den Zionismus aus religiösen Gründen absolut ablehnend gegenüberstehen und gar als einen Frevel gegen ihre Religion ansehen. Sie glauben, dass erst wenn der Messias wieder auf Erden ist, dieser den Staat Israel ausrufen darf. Ein Beispiel dafür ist Neturei Karta mit weltweit 5000 – 8000 Anhängern. Neturei Karta ist vor allem wegen ihrer Teilnahme auf der Holocaustleugner-Konferenz im Iran in die Kritik geraten. Homosexualität, die gesellschaftliche Gleichberechtigung von Frauen und andere liberale Werte innerhalb der israelischen Gesellschaft, lehnt Neturei Karta genauso wie den Staat Israel selbst ab. Bei dem bekanntesten deutschen Vertreter Neturei Kartas dürfte es sich um Reuven Jisroel Cabelman handeln. Der Konvertit Cabelman wurde ob seiner israelfeindlichen Haltung von Hendry M. Broder als »Kostümjude« bezeichnet. Neturei Karta im Allgemeinen und Cabelman im Besonderen scheinen für Antisemiten aller Couleur eine strategische Alibifunktion zu erfüllen, um den Staat Israel delegitimieren zu können ohne sich durch diese »jüdischen Kronzeugen« allzu offensichtlich als Antisemiten zu entlarven. Daher ist es auch kein Wunder, dass Cabelman diese Funktion auch in diversen einschlägigen Facebook-Gruppen gerne einnimmt.

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Auch auf Querfront-Seiten wie Stephan Steins »Roter Fahne« (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen KPD-Zeitung) ist Cabelman ein beliebter Gastautor und auch auf Jürgen Meyers Querfront-Blog »Internetz Zeitung« wird er gerne herangezogen. Dass Cabelman als Jude dem Staat Israel die Existenzberechtigung abspricht, dürfte wohl der einzige Grund sein, wieso er in diesen pseudolinken Kreisen sehr beliebt ist. Was Cabelman nämlich ansonsten von Kommunismus oder Homosexualität hält, durfte man im Jahr 2013 bei seiner Rede auf dem al-Quds-Tag in Berlin erleben. Dort sagte er: »Der Kommunismus ist im Ganzen immer nichts anderes gewesen als total antisemitisch und judenfeindlich! […] Die bunte Regenbogenfahne die dort gehalten wird, ist direkt gegen das jüdische Volk, die Tora und gegen alles was dem jüdischen Volk heilig ist gerichtet. […] Die Tora verbietet die Legalisierung von Homosexualität«. Die Website JewWiki kritisiert des Weiteren Cabelmans Kontakte zum rechtsextremen Publizisten Manuel Ochsenreiter. Selbst das »Palästina Portal« distanziert sich scharf von ihm.

Wie steht Neturei Karta zum Thema Antisemitismus? Auch das konnte man auf dem diesjährigen al-Quds-Tag in Berlin mal wieder erleben. Die Berliner Zeitung schreibt: »Wie die Berliner Zeitung berichtete, rief ein Sprecher aus Jemen vom Lautsprecherwagen über das Mikrofon in arabischer Sprache „Tod Amerika, Tod Israel, verflucht seien die Juden und Sieg dem Islam“. Die Versammlungsbehörde hatte solche Sprüche, sowie Abwandlungen davon, untersagt. Ein entsprechender Auflagenbescheid war zuvor an die Demonstrationsveranstalter ergangen.« Weiter heißt es: »Die Vertreter der ultraorthodoxen jüdischen Gruppierung Neturei Karta, die regelmäßig an der Al-Quds-Demo teilnehmen, störten sich offensichtlich nicht an diesen Sprüchen. Neturei Karta fordert ebenfalls die Auflösung Israels, weil es ihrer Meinung nach nicht das Reich Gottes, sondern von Menschen gemacht ist.«

Siehe zu diesem Thema auch:

Antizionistische Juden: Die »jüdischen Kronzeugen«

http://lizaswelt.net/2006/12/16/mehr-als-nur-ein-kronzeuge/

„Neturei Karta“ – Der Antisemiten liebste Juden

http://eisberg.blogsport.de/2007/04/27/neturei-karta-der-antisemiten-liebste-juden/

Fünf Rabbiner der Neturei-Karta-Bewegung haben an der „Holocaust-Konferenz“ in Teheran teilgenommen

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/6922

Antizionismus

https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/lexikon/a/antizionismus

Antizionistischer Antisemitismus

http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37954/antizionistischer-antisemitismus

Stephan Bartunek und die »Bourgeoisie von Auschwitz«

In der Facebook-Gruppe »Bourgeoisie von Auschwitz« wird einiges an strafbaren Inhalten gepostet, z.B. unter Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole oder nach einem neueren Urteil ebenfalls strafbare codifiziert-antisemitische Volskverhetzung. Wir haben uns bereits in unserem letzten Artikel mit dieser Gruppe beschäftigt. Bemerkenswert ist, dass diese Gruppe von Leuten aus dem Mahnwachen-Umfeld betrieben wird, die sich wie Stephan Bartunek oder Melchior-Christoph von Brincken als Linke bezeichnen.  Wir wollen uns im Folgenden einmal nährer mit den Argumenten Bartuneks und Brinckens auseinandersetzen.

Unbenannt

Gruppenname

morgan

Unbestreitbar ist die Tatsache, dass US-Unternehmen lukrative Geschäftsbeziehungen mit den Nazis unterhalten haben. Industrielle wie Prescott Bush oder der Antisemit Henry Ford haben zweifelsohne durch ihre Geschäfte mit Hitler-Deutschland profitiert. Falsch ist hingegen die Annahme, dass es sich bei Hitler um ein kleines Rädchen, einen Befehlsempfänger oder gekauften Agenten US-amerikanischer Industrieller gehandelt hätte. Die Finanzierung allein – egal von wem – hat nicht ausgereicht, um Hitler zum Diktator zu machen. Es waren keineswegs amerikanische Industrielle, sondern vielmehr deutschnationale Politiker, die Hitler geholfen haben, sich zum Diktator aufzuschwingen. Aber wenn es nicht die pöhsen Amerikaner waren dann, war Hitler doch gewiss ein Spielball der (für Verschwörungstheoretiker natürlich FED-gesteuerten) deutschen Großindustrie, könnte manch einer meinen. Hans-Ulrich Wehler gilt als einer der einflussreichsten deutschen Historiker und resümiert über die Mär von Hitler als der Marionette einer „Hochfinanz“: »Das Ammenmärchen, dass sie sich Hitler und seine Schergen gekauft hätten, ist zwar endgültig widerlegt. Doch kann man sie mitnichten von dem gravierenden Vorwurf freisprechen, alles nur Mögliche zur Zerstörung der Republik beigetragen zu haben«. Ähnlich eindeutig urteilt der Faschismusforscher Hans-Ulrich Thamer: »Auf keinen Fall kann die Dynamik der nationalsozialistischen Glaubens- und Protestbewegung mit materiellen Unterstützungen der Großindustrie erklärt werden. Die Finanzierung der gewaltigen Propagandakampagnen der NSDAP erfolgte in erster Linie durch die Mitglieder und ihre Beiträge sowie durch Eintrittsgelder, dann durch Hilfe von Sympathisanten vor allem mit kleineren und mittleren Betrieben. Es liegen keine Belege für eine kontinuierliche finanzielle Förderung der NSDAP durch die Großindustrie vor. Zudem war das Verhalten der Großindustrie gegenüber der NSDAP und Hitlers Regierungsbeteiligung 1932/33 sehr uneinheitlich; nur eine kleine Fraktion unterstützte Hitler. Wichtiger war die Rolle der Großwirtschaft und anderer traditioneller Machteliten bei der Zerstörung der parlamentarischen Demokratie zugunsten einer autoritären Staatsform, die sich am Ende vor dem Ansturm der NSDAP nicht behaupten konnte«. Auch der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze kommt zu dem Schluss: »Nach dem Ersten Weltkrieg war die Unternehmerlobby stark genug gewesen, um die revolutionären Impulse der Jahre 1918 und 1919 eindämmen zu können. Nun, in der tiefsten Krise des Kapitalismus, fehlte dem deutschen Unternehmertum schlicht die Macht, sich gegen einen Staatsinterventionismus zu wehren, der diesmal nicht von links, sondern von rechts drohte«.¹

Die Machtbasis der NSDAP fußte vor allem auf den antidemokratischen, extremistischen Einstellungen aus der Mitte der Gesellschaft. Die Nazis verstanden es große Teile der Mittelschicht für sich zu gewinnen. »In zahlreichen Reden sprachen die Nationalsozialisten genau das an, was viele Deutsche beschäftigte. Den Arbeitslosen versprachen sie Arbeit und Brot, den Bauern höhere Preise, den Militärs eine neue, große Armee, den Vertretern der Wirtschaft die Bekämpfung der Arbeiterbewegung, dem Mittelstand die besondere Berücksichtigung mittelständischer Interessen, den Nationalen das Ende der „Schmach von Versailles“, einen größeren „Lebensraum“ für das Deutsche Volk und die Bekämpfung der „Schuldigen“ (Juden). Den Frauen versprachen sie ein glückliches Leben als Hausfrau und Mutter, der Jugend eine große Zukunft. Die Mitgliederzahl zwischen 1925 und 1928 wuchs um 83000 auf insgesamt ca. 100000 Stimmen Ende 1928. Diese Zahlen beweisen […], dass viele Deutsche von dem Programm der NSDAP und somit auch von antisemitischen oder gewalttätigen Aktionen überzeugt waren.«² Der Politologe Jürgen Falter stellt fest, dass die Wählerschaft der NSDAP etwa zu 60 % der Mittel- und zu 40 % der Arbeiterschicht zuzuordnen sei und resümiert, die NSDAP sei »von der sozialen Zusammensetzung ihrer Wähler her am ehesten eine Volkspartei des Protestes, oder, wie man es wegen des nach wie vor überdurchschnittlichen, aber eher nicht erdrückenden Mittelschichtsanteils unter ihren Wählern in Anspielung auf die daraus resultierende statistische Verteilungskurve formulieren könnte, eine „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“.³

gefallen

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Begriffe wie Zionazis oder Nationalzionisten und Bilder wie das vom KZ Auschwitz mit der Beschriftung »Gaza Ghetto Genocide« sollen eine Gleichsetzung Israels mit NS-Deutschland assoziieren. Das ist besonders perfide, wenn man bedenkt, dass Israel der Staat ist, der einem Großteil der Holocaustüberlebenden nach dem Grauen der Shoa eine neue Heimstätte geboten hat und von Holocaustüberlebenden mitaufgebaut wurde.

Die Unterstellung, dass die Zionisten die Nazis von heute wären, hört man in einschlägigen Kreisen immer wieder. Die Amadeu Antonio Stiftung schreibt dazu:

»Sich seiner historischen Verantwortung entledigen zu wollen ist in Deutschland ein weit verbreitetes Bestreben und so manch einer empfindet die Erinnerung an deutsche Verbrechen als lästige Einschränkung für den eigenen Nationalstolz. Wird der Holocaust auch nicht unbedingt direkt geleugnet, so wird dennoch von einigen versucht, Qualität und Quantität des deutschen Vernichtungsprogramms durch hinkende Vergleiche kleinzureden. Holocaustleugnung light, sozusagen.

Diese grassierende Vergleicheritis kennt viele Ausdrucksformen, ganz besonders verlockend ist aber scheinbar, ausgerechnet Jüdinnen und Juden zu unterstellen, sich wie Nazis zu verhalten. Slogans wie „Gestern Opfer, heute Täter“, gerne kombiniert mit dem Hinweis, die Opfer hätten nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt, zielen auf die völlige moralische Entlastung Deutschlands ab. Wenn die Leidenden von damals heute genauso schlimm sind wie ihre damaligen Peiniger, dann ist man ja schließlich quitt, so die Logik. So kann man sich seiner historischen Verantwortung natürlich auch entledigen. Geschichtsrevisionismus auf Umwegen.«

Das bloße Austauschen des Wortes „Jude“ durch „Zionist“ ändert übrigens rein gar nichts daran, ob deine Aussagen antisemitisch sind oder nicht. Netter Versuch.«

NS-Vergleiche mit dem jüdischen Staat dienen in erster Linie einer Täter-Opfer-Umkehr. Die Antisemitismuforscherin Monika Schwarz-Friesel dazu: »Um das einseitige Aggressorbild Israels aufrechterhalten zu können, werden Referenzialisierungen konstruiert, die auf Falschaussagen basieren. Die Verfälschung von Fakten erfolgt durch Umkehrung, Auslassung oder Relativierung von Sachverhaltsinformationen. Auf diese Weise erzeugen die sprachlinchen Strukturen ein Feindbild Israel, das zwar mit der Realität nicht kompatibel ist, dafür aber exakt das repräsentiert, was dem judeophoben Weltbild entspricht und das damit genau die ihm zugewiesene Funktion erfüllt. […] Um das Ausmaß israelischer Gewalt verbal höchstmöglich zu potenzieren, werden mit NS-Vergleichen irreale Kontrastierungen etabliert. Sie konstituierten absolute Täter-Opfer-Oppositionen. […] Juden erscheinen so (in der Täter-Opfer-Umkehr) als Tätervolk. Neben ihrer diskreditierenden Funktion dienen diese unangemessenen Vergleiche stets auch der Schuldabrechnung.«

Die Täter-Opfer-Umkehr-Strategie – bzw. eine Analogie, welche die Militärschläge Israels mit dem Völkermord an den europäischen Juden gleichsetzt – dient zum einen einer Schuldabwehr- und Entlastungsdimension und zum anderen findet eine de-realisierende Relativierung des Holocaust statt. »Die Täter-Opfer-Umkehr ist ein zentraler Bestandteil des israelbezogenen Antisemitismus. Wie solch ein antisemitischer Diskurs in Gewalt umschlagen bzw. sie bedingen kann, zeigt der Blick auf die Israeldebatten der außerparlamentarischen Linken Ende der 60er Jahre […] Angesichts Zustimmungsraten von bis zu über 50% der deutschen Mehrheitsbevölkerung zu Aussagen, die die Politik Israels mit der des Nationalsozialismus auf eine Ebene stellt, wird deutlich, wie aktuell, wie wirkungsmächtig und breit verankert die Täter-Opfer-Umkehr bei Debatten über Israel derzeit ist. Israelbezogener Antisemitismus stellt eine akute Bedrohung der demokratischen Kultur, aber auch für die Unversehrtheit von Jüdinnen und Juden und alle dar, die als Repräsentanten oder Sympathisantinnen Israels wahrgenommen werden«.

Weiterhin soll mit dem Auschwitz-Bild und der Beschriftung »same Shit – new Slogan« eine Gleichsetzung des Völkermordes an den europäischen Juden mit der Palästinenserpolitik Israels suggeriert werden. Der logistisch von langer Hand geplante und industriell durchgeführte Völkermord an ca. 6 Millionen Jüdinnen und Juden ist aber ob der Dimension seiner Entstehung, Planung und Durchführung singulär. Der Historiker Yehuda Bauer etwa bezeichnete den Holocaust als einzigartige, vorher nie da gewesene Form eines Genozids »weil er zum Tod jedes Einzelnen mit drei oder vier jüdischen Großeltern führen sollte. Mit anderen Worten: Das Verbrechen dieser Menschen war, überhaupt geboren zu sein. […] Alle anderen Genozide, die es vor, während und nach dem NS-Regime gab, waren lokaler Natur, d. h., der Genozid ereignete sich innerhalb einer bestimmten geografischen Region. Im Falle des Holocaust hatte Deutschland jedoch jeden einzelnen Juden auf der ganzen Welt im Visier. Die NS-Ideologie war eine universale, globale und mörderische Ideologie. […] [Sie] wurzelte nicht in einem politischen, ökonomischen oder militärischen Pragmatismus. Sie gründete auf der puren Fantasie von einer jüdischen Verschwörung, die angeblich die ganze Welt beherrschte.«

Die Situation der Palästinenserinnen und Palästinener ist zweifelsohne schlimm bis katastrophal. Wenn man allerdings von einem Völkermord ausgeht, so würde es sich hierbei »um den ersten Völkermord in der Geschichte der Menschheit« handeln, »bei dem sich die betroffene Population um ein Vielfaches vermehrt hat, allein in Gaza von etwa 300 000 Menschen im Jahre 1967, dem Beginn der Besatzung, auf über 1,5 Millionen im Jahre 2005, als Israel den Küstenstreifen räumte.«

Veit Medick hat es in seinem in der taz erschienenen Artikel »Antisemitismus in der RAF« auf den Punkt gebracht: »Die RAF ist Geschichte. Nicht zuletzt ihr dürfte es aber zu verdanken sein, dass bei vielen die Verlockung nicht nachgelassen hat, den Nahen Osten durch das beschränkte Prisma der antiimperialistischen Perspektive zu betrachten. Überlebt hat die Obsession, den politischen Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn mit Nazifantasien anzuheizen. Der aus dieser Haltung resultierende Antizionismus beschränkt sich heutzutage jedoch mitnichten auf linksradikale Szenemilieus. Längst ist er salonfähig geworden und Teil jedweder „objektiven Bewertung“ der nahöstlichen Situation, kurz: Heute ist er in Kreisen wahrnehmbar, die des Terrorismus gänzlich unverdächtig sind. Es scheint sich dort der Glaube durchzusetzen, durch den Geschichtsunterricht gleichzeitig die Ausbildung zum Therapeuten genossen zu haben, und zwar für zwei Patienten: für das ehemalige Opfer, das selbst handgreiflich wird, und für sich selbst, den Täternachkommen, der nach Schuldstilllegung lechzt. […] Unzweifelhaft ist die Situation der Palästinenser katastrophal. Aber in Gaza oder im Westjordanland ein Großraum-KZ sehen zu wollen, zeugt von epochaler Geschichtsklitterung. Und ob diese den offensichtlichen Durst nach Selbstentlastung stillen kann, darf bezweifelt werden. Zudem schreibt man mit verzerrten historischen Assoziierungen und Gleichsetzungen den Palästinensern eine Realität vor, aus der heraus die Vision eines eigenen Staates schier unerreichbar erscheinen muss. Das gilt heute, das galt auch vor dreißig Jahren.

Interessant ist weiterhin, dass Brincken sich über die »Hetze gegen die Hamas« echauffiert. Ein Wort darüber, dass etwa die Vernichtung aller Juden in der Gründungscharta der Hamas verankert ist, verliert er nicht, während er Israel durch sein Auschwitz-Bild mit der Beschriftung »same Shit – new Slogan« quasi vorwirft einen Holocaust an den Palästinensern zu verüben.

Artikel 7 der Gründungscharta der Hamas erklärt das Töten von Juden – nicht nur von jüdischen Bürgern Israels oder Zionisten – zur unbedingten Pflicht jedes Muslims, indem sie sie zur Voraussetzung für das Kommen des Jüngsten Gerichts erklärt: »Die Stunde des Gerichtes wird nicht kommen, bevor Muslime nicht die Juden bekämpfen und töten, so dass sich die Juden hinter Bäumen und Steinen verstecken und jeder Baum und Stein wird sagen: ‘Oh Muslim, oh Diener Allahs, ein Jude ist hinter mir, komm und töte ihn!’« (Sahih Muslim Buch 41, Nummer 6981, zitiert in Artikel 7 der Hamas-Gründungscharta)

»Juden sind fremdartige Bakterien, sie sind Mikroben ohne Beispiel auf dieser Welt. Möge Gott das schmutzige Volk der Juden vernichten, denn sie haben keine Religion und kein Gewissen! Ich verurteile jeden, der glaubt, eine normale Beziehung mit Juden sei möglich, jeden, der sich mit Juden zusammensetzt, jeden, der glaubt, Juden seien Menschen! Juden sind keine Menschen, sie sind kein Volk. Sie haben keine Religion, kein Gewissen, keine moralischen Werte!« (stellvertretender Minister für religiöse Stiftungen der Hamas Abdallah Jarbu, am 28. Februar 2010)

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In einem YouTube-Video unterhalten sich Bartunek und Brincken über die Geschichte des Zionismus. Brincken erläutert: »Das Problem ist, dass es in jeder Ethnie einen Anteil von Psychopathen gibt […] und wenn die sich zusammenrotten, dann haben wir eben so etwas wie die Nazis oder diesen Zionismus […].« Bartunek ergänzt: »Das heißt ein paar wenige durchgedrehte  Typen schaffen es dann eine ganze Gemeinschaft in Geiselhaft zu nehmen.« Einige Minuten später lässt sich Bartunek zu der Aussage »Antizionismus ist Antifaschismus« hinreißen.

Brincken erklärt, dass der Zionismus vor der Machtergreifung der Nazis nur einen geringen Rückhalt unter den deutschen Juden hatte. Und damit hat er mal Recht. »Der Zionismus blieb […] Angelegenheit einer jüdischen Minderheit; von etwa 580.000 deutschen Juden gehörten 1932 nur 7500 einer zionistischen Organisation an. Die Mehrheit wollte in Europa bleiben und dort an der Verbesserung der sozialen und rechtlichen Lage für alle Bürger mitwirken.« Das änderte sich jedoch mit dem Grauen des Holocausts schlagartig. Um es mit  Gregor Gysi zu sagen: »Die gescheiterte politische Emanzipation der Jüdinnen und Juden in den europäischen Nationalstaaten und insbesondere der Holocaust haben das Projekt der Gründung eines jüdischen Nationalstaats zwingend erforderlich gemacht. Nach tausenden Jahren Ausgrenzung, Pogromen und dann der nationalsozialistischen Barbarei, das heißt der Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden, den Überlebenden des Holocaust zu empfehlen, nun doch auf die Emanzipation in anderen Nationalstaaten zu setzen, wäre wohl deutlich zu viel verlangt gewesen. Und so stellte sich das jüdische Nationalstaatsprojekt als alternativlos dar. Daraus resultiert auch die stabile Verantwortung für Israel. Alle modernen Nationen haben irgendwo einen antisemitischen Schandfleck in ihrer Geschichte. Aber der von den Deutschen durchgeführte Holocaust ist singulär. Die Grundannahme des Zionismus, wenn die Jüdinnen und Juden eine Staatsmacht haben wollen, die sie auch wirklich schützen soll, dann nur in ihrem eigenen Staat, ist nach dieser historischen Entwicklung kaum noch ernsthaft bestreitbar. Antizionismus kann für die Linke insgesamt, für die Partei DIE LINKE im Besonderen, keine vertretbare Position sein. Die Solidarität mit Israel sollte zugleich immer auch eine kritische sein.«

Brincken erläutert in dem Video weiter, dass die Nazis die Zionisten finanziert hätten und Bartunek ergänzt: »Also da gab es eine ganz klare Zusammenarbeit zwischen Nazis und Zionisten.« Richtig ist, dass die Zionistische Vereinigung für Deutschland mit dem nationalsozialistischem Regime das sog. Ha’avara-Abkommen ausgehandelt hat. Die Nationalsozialisten haben zahlungskräftigen Juden eine Ausreise nach Palästina gestattet. Die deutsche Seite erhoffte sich dadurch »den deutschen Export zu fördern, insbesondere den damals befürchteten internationalen Handelsboykott zu durchbrechen«. Selektiert wer das Ha’avara-Abkommen in Anspruch nehmen durfte haben also die Nazis und keineswegs – wie Brincken und Bartunek vielleicht suggerieren wollen – die zionistische Seite.

Aber kann man deswegen sagen, dass die Zionisten mit den Nazis kollaboriert haben? Alexander Schölsch, Professor für Politikwissenschaft und Geschichte des Nahen Ostens an der Universität Erlangen, schrieb dazu: »Jede Kritik an der Zusammenarbeit von Zionisten mit nationalsozialistischen Stellen im Rahmen des Haavara-Abkommens (und diese Kooperation war sowohl innerhalb der zionistischen Bewegung als auch innterhalb der jüdischen Gemeinschaften Europas und Amerikas heftig umstritten) kann an dem Grundtatbestand nicht vorbeigehen, dass es eine Aktion war, die bedrängten deutschen Juden eine Emigrationsmöglichkeit in einer Zeit schuf, als ihnen die Tore Westeuropas und Amerikas keineswegs offenstanden. Verfolgten die Zionisten dabei sinistre Ziele? Sie hätten sich selbst und ihre Ideologie verleugnen müssen, wenn sie nicht die Gelegenheit genutzt und möglichst viele Auswanderer nach Palästina geleitet hätten. Verkörperte der Zionismus eine verwerfliche Idee, dann war alles verwerflich, was seine Repräsentanten taten. Das Haavara-Abkommen als solches stellt die Zionisten aber nicht bloß. Die Beschuldigung, mit dem Abkommen seien “die Interessen der jüdischen Massen in Europa den politischen Ambitionen der Zionisten [geopfert worden]”, wäre nur dann zutreffend, wenn diese Abkommen die Emigration von Juden in andere Länder behindert oder die Situation der Juden in Deutschland verschlimmert hätte. Es waren doch nicht die Zionisten, denen es endlich gelang, die deutschen Juden von der Notwendigkeit der Emigration zu überzeugen, sondern es waren die Nazis, die sie zu dieser “Einsicht” zwangen. Nicht die Zionisten haben das nationalsozialistische Regime zu dem Entschluss gebracht, die Emigration zu forcieren; vielmehr bedienten sich die Nazis der Zionisten. Diese versuchten, die Emigration in der für sie günstigsten Weise zu gestalten – die gleichzeitig den Interessen der nationalsozialistischen Stellen entsprach. Wenn behauptet wird, “das Zögern der deutschen Juden, sich auf Geheiß des Zionismus zu entwurzeln, musste durch Überredung überwunden werden, die die Nazis gerne zu leisten bereit waren”, so ist dies eine bösartige Verkehrung von Ursache und Wirkung, die einer Entschuldigung der nationalsozialistischen Judenverfolgung gleichkommt, indem sie die Zionisten zu Initiatoren dieser “Entwurzelungspolitik” stempelt.«

Die Rote Ruhr Uni schreibt dazu ergänzend: »Auch in der Vergangenheit suchte sich das aggressive Bedürfnis nach Exkulpation zu befriedigen. So werden das Ha’avara-Abkommen, das 1933 zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und der Zionistischen Vereinigung für Deutschland abgeschlossen wurde und gegen den Export deutscher Waren nach Palästina bis 1939 60.000 Juden die Ausreise ermöglichte, sowie Kontakte einiger rechtsextremer Zionisten zur SS (als diese noch die Auswanderung der Juden betrieb) dazu benutzt, ein “Komplott”, eine “Kollaboration”, eine “verbrecherische Allianz des Zionismus und des Nazismus” zu erfinden. Da scheint die Haganah fast zum Verursacher der NS-Judenpolitik zu werden, habe sie doch versucht, “die Mithilfe der SS bei der Beschleunigung der Austreibung der Juden zu gewinnen”. Erst entzogen sich die Zionisten schon durch feige Flucht der Verpflichtung, anstelle der versagenden deutschen Arbeiterbewegung den NS zu stürzen, dann brachten sie noch mit dem Ha’avara-Abkommen “jeglichen Versuch eines wirtschaftlichen Boykotts des Nazireichs zum Scheitern”! Selbst sind sie schuld, die Juden-Zionisten, hat doch “ihre Konspiration mit den Nazis … dazu beigetragen, das Nazi-Regime zu stärken und die Front des antifaschistischen Kampfes … zu schwächen”, hielten sie doch “den Faschismus im Sinne ihrer Pläne für wünschenswert …, der den Juden den Tod brachte”, womit die Zionisten “den Tod von vielen Tausenden von Juden durch Hitler auf dem Gewissen haben”. Die von den Antizionisten betriebene Verschiebung des NS nach Israel, die Rede von einer “ideologischen Verwandtschaft zwischen dem Antisemitismus des NS-Faschismus und dem Zionismus” bis hin zur obszönen Behauptung einer Mitschuld an der Vernichtung, leistet eine derart unverfrorene Verdrängung des NS, Exkulpation der deutschen Nation und Restituierung deutschen Nationalgefühls wie sie selbst Nolte et. al. weit von sich weisen würden: an jenem Staat, der allein durch seine Existenz die Erinnerung an Auschwitz nicht vergehen läßt und so dem Bedürfnis nach deutschem Nationalgefühl im Wege steht. “So sind sie uns perverserweise ähnlich geworden” stellen mit der späten Geburt begnadete deutsche Antizionisten fest, und die solch scheinheiligem Entsetzen stets auf den Fuß folgende Entdeckung der Palästinenser als die “Juden der Juden” bedeutet in seiner Konsequenz nicht nur Entschuldung, sondern Aufruf zu neuerlicher Gewalt – die Juden sollen nämlich bloß nicht glauben, “als hätten sie durch unsere Taten eine Art Mordbonus erhalten”. “Angesichts der zionistischen Greueltaten verblassen … die Nazigreuel” stellte der Grüne Kalender 1983 befriedigt fest und rief nicht nur dazu auf: “Kauft nicht bei Juden”, sondern fragte erwartungsvoll, “wann den Juden endlich ein Denkzettel verpaßt wird”.«

Siehe zu diesem Thema auch die Arbeit Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich von Francis R.  Nicosia.

Abschließend zwei Zitate von Monika Schwarz-Friesel und der Amadeu-Antonio-Stiftung:

»Nicht dass Kritik geübt wird, sondern wie diese argumentativ begründet und sprachlich formuliert wird, ist für diese Diskussion entscheidend. Wenn Israel als Projektionsfläche für antisemitische Ressentiments dient und tradierte antijüdische Stereotype und Argumente benutzt werden, um den Staat Israel generell zu diskreditieren, wenn seine jüdischen Bürger kollektiv dämonisiert werden und seine Existenzberechtigung als jüdischer Staat in Frage gestellt wird, wenn ein irreales Feindbild von Israel konstruiert wird, dann liegt keine Israel-Kritik, sondern verbaler Antisemitismus in der Formvariante des Anti-Israelismus vor.«¹⁰

»In Debatten um Kritik an Israel wird immer wieder von „antisemitischer Israelkritik“ geredet. Dieser Begriff ist irreführend. Das Wort Kritik leitet sich vom griechischen Wort krínein ab. Es meint (unter-) scheiden, beurteilen. Im Antisemitismus wird jedoch nicht unterschieden oder beurteilt. Das Urteil steht stets schon vor Prüfung der Sachlage fest: Die Schuldigen sind immer „die Juden“ oder eben Israel als imaginierter „kollektiver Jude“. Entweder ist eine Äußerung kritisch oder antisemitisch – beides geht nicht.

Israel als „kollektiver Jude“?

Im Antisemitismus werden „den Juden“ seit jeher gewisse negative Eigenschaften zugeschrieben. Seit der Staatsgründung Israels werden diese häufig auch auf Israel projiziert. Im klassischen Antisemitismus gelten „die Juden“ häufig als Weltbrandstifter – verantwortlich für die beiden Weltkriege. Heute wird Israel vorgeworfen, den Weltfrieden zu bedrohen und den 3. Weltkrieg herbeiführen zu wollen. Auch die antisemitische Ritualmordlegende wird auf Israel übertragen. Israel wird vorgeworfen, die palästinensischen Gebiete u.a. nur deshalb zu besetzen, um gesunde Organe der Palästinenserinnen und Palästinenser für die eigene Bevölkerung zu rauben. Diese moderne Variante der Ritualmordlegende findet sich sowohl im islamisierten Antisemitismus, als auch in bürgerlichen europäischen Tageszeitungen. Wenn antisemitische Ressentiments auf Israel projiziert werden, handelt es sich um Antisemitismus. Oftmals wird entgegnet, dass dies nicht Antisemitismus sein könne, da nur über Israel eine Aussage getroffen werde und nicht über alle Jüdinnen und Juden. Sobald jedoch antisemitische Ressentiments auf Israel projiziert werden, dem Staat Israel „jüdische Eigenschaften“ zugeschrieben werden, wird Israel im Weltbild von Antisemitinnen und Antisemiten zum „kollektiven Juden“ stilisiert. Ist das der Fall, handelt es sich eindeutig um Antisemitismus. Kritik, auch harsche Kritik, an der israelischen Politik, die sich keiner antisemitischen Ressentiments bedient, ist jedoch kein Antisemitismus.«¹¹

Mehr Informationen zu diesem Thema

Der Antisemitismus der Mahnwachen-Protagonisten

https://genfmblog.wordpress.com/2014/10/23/der-antisemitismus-der-mahnwachen-protagonisten/

Antiamerikanismus als geschichtsrevisionistische Entlastungsargumentation

https://genfmblog.wordpress.com/2014/10/23/antiamerikanismus-als-geschichtsrevisionistische-entlastungsargumentation/

Israelbezogener Antisemitismus

http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/aas-israelfeindschaft.pdf

https://genfmblog.wordpress.com/2014/10/23/israel-kritik-versus-anti-israelismus/

Zur Logik des deutschen Antizionismus

http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/Zur-Logik-des-deutschen.html

Antizionismus

https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/lexikon/a/antizionismus

http://www.bpb.de/themen/TDNK0N,0,0,Antizionistischer_Antisemitismus.html

Das Dritte Reich, die zionistische Bewegung und der Palästina Konflikt

http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1982_4_3_schoelch.pdf

Antizionistischer Antisemitismus

http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37954/antizionistischer-antisemitismus

Robert Kurz: Krieg gegen die Juden – Warum sich die globale Öffentlichkeit in der ökonomischen Krise gegen Israel wendet

http://www.exit-online.org/link.php?tabelle=autoren&posnr=395

Antisemitismus in der RAF: Radikal antijüdisch

http://www.taz.de/!5193915/

USA-Bashing: „Amerikaner sind gefährlich und profitgierig“

http://www.cicero.de/weltbuehne/usa-bashing-die-amerikaner-sind-gefaehrlich-eigennuetzig-und-profitgierig/57118

Die Nebelgranaten der FED-Kritiker

https://www.sozialismus.info/2014/07/die-nebelgranaten-der-fed-kritikerinnen/

Dimitroff revisited: Orthodox-marxistische Faschismustheorien, die einseitig ökonomische Konstanten an den Nationalsozialismus anlegen, sind verkürzt

http://www.sopos.org/aufsaetze/426a9fc3c704d/1.phtml

Die politische Ökonomie des Antisemitismus

http://www.exit-online.org/link.php?tabelle=autoren&posnr=18

Struktureller Antisemitismus und verkürzte Kapitalismuskritik

http://www.trend.infopartisan.net/trd0101/t120101.html

Elmar Altvater: Eine andere Welt mit welchem Geld?

http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/altvater/altvater.pdf

Blinde Flecken der Kapitalismuskritik – Gegen antisemitische Tendenzen und rechtsextreme Vereinnahmung

http://www.attac.at/fileadmin/_migrated/content_uploads/reader_antisemitismuskongress_2004_01.pdf

Fußnoten

¹ Friedensdemo-Watch

² http://www.grabbe-gymnasium.de/grabbe/analyse/hitler.php

³ https://de.wikipedia.org/wiki/Extremismus_der_Mitte

Monika Schwarz-Friesel, Jehuda Reinharz: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin, New York: de Gruyter, 2013.

http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/aas-israelfeindschaft.pdf

David Bankier (Hrsg.): Fragen zum Holocaust. Göttingen: Wallstein,  2006.

http://www.taz.de/!5193915/

http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1982_4_3_schoelch.pdf

http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/Zur-Logik-des-deutschen.html

¹⁰ Monika Schwarz-Friesel, Jehuda Reinharz: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin, New York: de Gruyter, 2013.

¹¹ https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/aas-israelfeindschaft.pdf

Pedram Shahyar und die »Bourgeoisie von Auschwitz«

Wir haben uns bereits in unseren letzten beiden Artikeln (siehe hier und hier) mit Pedram Shahyar auseinandergesetzt. In diesem Artikel soll es darum gehen, wie konsequent Shahyar seinen »Humanistischen Grundkonsens« umsetzt. In der Facebook-Gruppe »Bourgeoisie von Auschwitz« wird einiges an strafbaren Inhalten gepostet, z.B. unter Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole oder nach einem neueren Urteil ebenfalls strafbare codifiziert-antisemitische Volskverhetzung (Gruppendiskussion als Screenshot). Sowohl Shahyar als auch die bekennenden Linken und Mahnwachen-Aktivisten Stephan Bartunek und Melchior-Christoph von Brincken sind Mitglieder dieser Gruppe. Mit der Propaganda Bartuneks und Brinckens setzen wir uns hier auseinander.

Friedensdemo-Watch schreibt dazu:

»Die „Linken“ Pedram Shahyar (Team KenFM, Aktionsbüro ‪#‎Friedenswinter‬) und Stephan Bartunek (Breitband Bartunek, Wahnmache Wien) werden sich nicht heraus reden können, nichts von der Gruppe gewusst zu haben und einfach hinzugefügt worden zu sein. Ein Beitrag in der Gruppe ist von beiden geliket worden, wie übrigens auch von dem Endgamer und Antisemiten Fuad Afane. Dieses Posting enthält unter anderem die antisemitische Behauptung Israel sei „faschistisch“¹, was dort in anderen Posting durch einen „Gaza-Auschwitz-Vergleich“ bzw. einer Gleichsetzung der Slogans „Arbeit macht frei“ und „free Gaza from Hamas“ noch drastischer formuliert wird, den Shahyar zumindest gesehen hat ohne sich daran zu stören – so etwas bemängelt er nur öffentlichkeitswirksam, wenn es darum geht seine antisemitischen Freunde rein zu waschen und so zu tun als hätte seine Intervention bei den Wahnmachen einen anderen Sinn als sie für einen Teil der Linken als „bündnisfähig“ darzustellen. Bartunek will den antisemitischen Gehalt des „Israel-Nazi-Vergleiches“ im Gegensatz zu Shahyar sowieso nicht raffen und verfasste in der Gruppe ein Posting in dem er selsbt von „Zionazis“ schwurbelt. Weitere Mitglieder sind der wahnmachennahe Antimprapper Kaveh Ahangar, der Wahnmachen-Esoschrubler Rüdiger Lenz, der Endgamer Mahdi Feist, der Gründer/ Admin: Melchior-Christoph von Brincken und Claus Stephan Schlangen, letzteren vl. einigen u.a. deswegen bekannt, weil er es schaffte wegen antisemitsicher Äußerungen aus der Partei die Linke zu fliegen und weil es ein Tumblr-Blog gibt/gab, der sich allein der Sammlung seiner Aussagen widmet/e. Administratoren, und damit strafrechtlich möglicherweise für sämtliche Inhalte zur verantwortung zu ziehen, sind neben „von Brincken“ auch Claus Stephan Schlangen, Fuad Afane, Davicii Stefanovv und Stephan Bartunek. Bartunek und von Brincken kennen sich offenbar von der Wahnmache Wien, dort referierte er referierte über, was auch sonst, den Nahostkonflikt. Nach eigenen bekunden lebt Gruppengründer von Brincken in Wien ist aber auch in Berlin gemeldet. Er hat verschiedenene Internetauftritte wie seine Künstlerseite „kunst macht druck“, „soziale opposition“. „kein Blut für Öl“², wo sich unter einemer url die „bartunek“ beinhaltet eine Menge „Israelkritik“ versteckt. Bei „scharf-links“ trat er als Autor in Erscheinung, dort wurde aber auch ein Leserbrief veröffentlicht, in dem er sich über einen kritischen Artikel zu den Wahnmachen empörte. Ein von Brincken geschriebener Text wurde von Bartunek gesprochen und unter dem Account der Wahnmache Wien bei Youtube veröffentlicht – dabei handelt es sich um einen Aufruf zur Bildung einer Querfront. Bartunek wiederum ist z.B. durch das Teilen von antisemitischen „Weihnachtsgeschichten“ „bekannt“ geworden: „Am 22. Dezember 1913 erfolgte ein genialer Putsch wider die Demokratie in den USA, von dem nur wenige wissen, dass er stattgefunden hat und geglückt ist. Die meisten Abgeordneten hatten die Heimreise zu ihren Familien angetreten, um das Weihnachtsfest zu feiern, als vor den schütter besetzten Bänken des amerikanischen Kongresses ein Antrag eingebracht wurde, der das Geldschöpfungsrecht auf wenige Familien übertrug und die Macht für das kommende Jahrhundert zwischen diesen Privatbanken aufteilte. Mit dieser Machtvollkommenheit ausgestattet, hatten die Verschwörer also ihren Geld scheißenden Esel erfunden: Sie bedrucken die grünen Scheine mit Ziffern und vermieten diese seither gegen entsprechenden Zins an den amerikanischen Staat. Den Verschwörern war es seither ein leichtes, die Presse und damit die Meinungsbildung im Lande in die Gewalt zu bekommen und mittels Bestechung, Erpressung und Mord die Politik des Landes in Krieg und Frieden zu steuern. […] Die Gründerbanken waren: Rothschild Bank (London, Paris, Berlin) Warburg Bank (Hamburg und Amsterdam) Chase Manhattan Bank New York Goldman Sachs Bank New York Lehmann Bank New York Khun Loeb Bank New York Israel Moses Seif Bank Italien Lazard Brothers Bank Paris […] (Bitte keine antisemitischen Kommentare – danke)“ [Quelle]. Das es sich bei diesen angeblichen Weltherrschern fast ausschließlich um Juden handelt dürfte genauso klar sein, wie das die Liste frei erfunden ist. Die ganze Gruppe basiert auf der mittlerweile weitestgehend widerlegten Behauptung, die Nazis seien vor allem vom „Großkapital“ finanziert wurden, wie es trotz anderem Stand der heutigen Forschung auch heute noch gerne von gewissen Linken und (anderen) Verschwörungsideologen behauptet wird³ und auf der Behauptung, die gleichen Kräfte würden heute Faschisten in der Ukraine, in Israel und „selbstverständlich“ auch die Kritiker der Wahnmachen, z.B. Friedensdemo-Watch finanzieren.«

Quelle: https://www.facebook.com/friedensdemowatch/posts/878785282175729:0

Einige exemplarische Screenshots aus der Facebook-Gruppe:

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Pedram Shahyar hat oft wiederholt, dass Antisemitismus nicht toleriert werden dürfe und struktureller Antisemitismus sowie eine verkürzte Kapitalismuskritik nicht akzeptabel wären. Allerdings zeigt sich auch hier mal wieder, dass seine Lippenbekenntnisse nicht viel wert sind. Auf Facebook hat es jemand in einem Kommentar auf den Punkt gebracht:

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Shahyar scheint jede Kritik an den Mahnwachen als »antideutsche Propaganda« abzutun, aber ruft gleichzeitig dazu auf, dass man sich mit Kritik auseinandersetzen müsse. Auch hier zeigt Shahyar, dass es ihm nicht um einen ernsthaften und kritischen Diskurs geht, sondern darum möglichst jede Kritik mit dem Totschlagargument »antideutsch« zu ersticken, während andere bekennende Linke wie Lea Frings, Marsili Cronberg oder auch Patrik Baboumian mittlerweile ihr Engagement bei den Mahnwachen aufgrund der antisemitischen und verschwörungsideologischen Umtriebe eingestellt haben (Frings und Cronberg) oder gar rückblickend als schweren Fehler betrachten (Baboumian).

Aber was ist nun an den Argumenten aus der Facebook-Gruppe »Bourgeoisie von Auschwitz« dran? An dieser Stelle sei erneut auf unsere Artikel Der Antisemitismus der Mahnwachen-Protagonisten und Antiamerikanismus als geschichtsrevisionistische Entlastungsstrategie verwiesen, in welchen wir uns bereits etwas ausführlicher mit den Argumenten – wie wir sie auch in besagter Facebook-Gruppe vorfinden (Hitler wurde vom Großkapital an die Macht gebracht, »National-Zionismus« etc. pp.) – auseinandergesetzt haben. Fuad Afane (Zitat: »Ashkanazim sind keine Semiten. Ausländer Raus aus Palästina!«) , Melchior-Christoph von Brincken und Stephan Bartunek (Zitat: »Antizionismus ist Antifaschismus«) werden ebenfalls nicht müde auf die vermeintliche Kooperation der Nationalsozialisten mit den Zionisten hinzuweisen (Stichwort Ha’avara-Abkommen). Mit diesem Argument haben wir uns bereits ausführlich in unserem Artikel Susan Bonath: Eine Junge Welt-Journalistin auf Abwegen auseinandergesetzt. Mit der Abgrenzung zwischen legitimer Israelkritik und Antisemitismus haben wir uns in unserem Artikel Israel-Kritik versus Anti-Israelismus befasst.

Fußnoten von Friedensdemo-Watch:

¹ „Beispiele von Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Staat Israel und unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes können folgende Verhaltensformen einschließen, ohne auf diese beschränkt zu sein: […] Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.“ http://www.european-forum-on-antisemitism.org/working-definition-of-antisemitism/deutsch-german/

² „Besonders gerne verstehen sich Antiimperialisten als Friedensfreunde. Auffällig ist, dass sie für „den Frieden“ – oder jedenfalls für ihre Vorstellung davon – regelmäßig nur dann kämpfen, wenn es gegen die USA, Israel oder den Westen geht. Können sie denen beim besten Willen nichts anhängen, lassen sie Kriege und Militäraktionen auf der ganzen Welt verdächtig kalt. Wie ressentimentgeladen dieses Weltbild ist, lässt sich anhand der Losung „Kein Blut für Öl“ zeigen. Als die USA 2003 den Irakkrieg begannen, demonstrierten hunderttausende unter diesem Motto. Es erwies sich als fähig, staatstragende BürgerInnen zusammen mit linken Antiimps, Islamisten und Nazis in Scharen auf die Straßen zu treiben. Vom positiven Bezug auf „das Blut“ wollen wir hier einmal schweigen. Reden wir über die andere Flüssigkeit. Dass das Saddam-Hussein-Regime Öl an den Westen verkaufte und unter Umgehung von Embargobestimmungen liebend gerne noch viel mehr geliefert hätte, es folglich keinen Krieg brauchte, damit die USA an irakisches Öl kamen, blendeten alle miteinander aus. Auch, dass die Hälfte des weltweit geförderten Öls zur Aufrechterhaltung des Verkehrs dient, ein „Krieg für Öl“ folglich auch dafür geführt worden wäre, dass deutsche Friedensfreunde jederzeit volltanken können, musste natürlich abgewehrt werden. Ein Aufruf zum Tankstellenboykott, zehntausendfach auf Friedensdemos verteilt, blieb erwartungsgemäß ohne Resonanz. Er passte nicht ins Bild von „uns Guten“ und „den Bösen“. Auch stellt sich zehn Jahre nach dem Irakkrieg – gegen den man aus anderen Gründen durchaus etwas haben konnte – keineR der vermeintlichen FriedensfreundInnen die Frage, wo denn nun eigentlich die US-Tankerflotten geblieben sind, die „dem irakischen Volk“ sein Öl raubten. KeineR fragt, warum ausgerechnet chinesische Konzerne den großen Deal machten, als die neue irakische Regierung Lizenzen für die Erdölindustrie vergab. (Siehe z.B. China plant milliardenschweren Öl-Deal im Irak, Spiegel online, 30.12.2012) Obwohl Kapitalismus also anders funktioniert, als sich Antiimperialisten das vorstellen, kramte eine angebliche Friedensbewegung im Jahre 2011 erneut die Parole „Kein Krieg für Öl“ hervor. Dass jedoch auch das libysche Gaddafi-Regime einen Großteil seines Reichtums aus dem Ölverkauf an den Westen bezog, dieser folglich auch diesmal dafür keinen Krieg nötig hatte, durfte einfach nicht wahr sein.“ http://emafrie.de/was-ist-antiimperialismus/

³ „In der Mitte der 1920er Jahre war die Partei fast gänzlich auf Beiträge, Erlöse für Propagandamaterial oder Eintrittsgelder angewiesen. Nur einzelne mittelständische Unternehmer wie der Klavierbauer Edwin Bechstein oder der Verleger Hugo Bruckmann griffen Hitler beim Neuaufbau seiner Partei unter die Arme. Ende 1926 versuchten die Nationalsozialisten daher durch intensives Werben bei der Großindustrie neue Geldquellen zu erschließen. So versuchte Hitler über Emil Kirdorf Kontakt zur Großindustrie zu bekommen und verfasste die nur in Industriekreisen verbreitete Schrift Der Weg zum Wiederaufstieg, in der er versuchte seine Ideologie den Industriellen nahezubringen. Im Oktober 1927 kam es daraufhin zu einem Treffen mit führenden Unternehmern aus dem Ruhrgebiet, das allerdings finanziell für die NSDAP ergebnislos blieb. Ebenfalls sprach Hitler zwischen 1926 und 1927 vier mal in Essen vor jeweils mehreren hundert Industriellen.[…] Als Splitterpartei blieb sie jedoch für die Industrie bis zum überraschenden Wahlerfolg von 1930 weitgehend uninteressant. Erst danach begannen die Beziehungen zwischen Partei und Industrie enger zu werden. Die entscheidende Forschungsfrage war, welche Qualität diese Beziehungen annahmen. Welche Bedeutung diese Spenden aus der Industrie und von anderer Seite für die Gesamtfinanzierung der Partei vor 1933 hatten, ist auf Reichsebene wegen der schlechten Überlieferungslage nur schwer abschätzbar. Gemeinsam mit Horst Matzerath wies Turner aber anhand von vorhandenen Daten für die Gaue im Rheinland eine starke Selbstfinanzierungsquote über Mitgliederbeiträge nach. Deutlich geringer waren die Bedeutung von Spenden, die zumeist ebenfalls von Mitgliedern kamen, und die Einnahmen aus Veranstaltungen. So nahm die Partei im Gau Köln-Aachen zwischen Juni und August 1931 insgesamt 62.310 RM ein. Davon entfielen 47.015 (75 %) auf Beiträge, 8705 RM auf Spenden und 6400 RM auf Veranstaltungseinnahmen. Hinzu kamen 190 RM sonstige Einnahmen. Insgesamt war die NSDAP ähnlich wie die SPD und anders als die bürgerlichen Parteien eine sich selbst finanzierende Partei. Bei ihren Spendeneinnahmen spielte auch weniger die Großindustrie eine Rolle, die sich durch die anhaltende „sozialistische“ Rhetorik der Partei abgeschreckt fühlte – in den Länderparlamenten stimmte die NSDAP wiederholt gemeinsam mit den Linksparteien, z. B. 1927 gegen die Einführung der angeblich zu wenig arbeiterfreundlichen Arbeitslosenversicherung und die Erhöhung der indirekten Steuern. Wichtiger waren kleine oder mittelständische Industrielle wie Bechstein. Zwar gab es außer NSDAP-Mitglied Thyssen auch einige Großunternehmer, die größere Spendenbeträge überwiesen, doch konnte Turner nachweisen, dass sie gleichzeitig und zumeist in noch höherem Grade auch andere Parteien unterstützten. Zweck dieser Spenden war nicht, die NSDAP an die Macht zu bringen, sondern sich ihres Wohlwollens im Falle einer Machtergreifung zu versichern – so im Falle Friedrich Flicks, der wegen der Gelsenberg-Affäre angreifbar war – oder um sie von ihrem vermeintlich sozialistischen Kurs abzubringen. Einen bedeutenden finanziellen Beitrag zur Unterstützung des Nationalsozialismus leistete die deutsche Industrie vor der Machtübernahme nicht.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Findustrie_und_Aufstieg_der_NSDAP

Quelle: https://www.facebook.com/friedensdemowatch/posts/878785282175729:0

Der Artikel wird hier fortgesetzt.

Von der Querfront und dem Wahn vor »Antideutschen«

In unserem letzten Artikel ging es um Pedram Shahyar und seine Argumentation, wonach Querfront lediglich ein Phänomen der 1930er Jahre des letzten Jahrhunderts sei. Wir haben an den Beispielen der Bewegung »Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas« (Endgame) und Jürgen Elsässer gezeigt, dass die Querfront-Strategie auch heute noch eine aktuelle Erscheinung ist. Auch das neurechte Jugendmagazin Blaue Narzisse nimmt explizit Stellung zum Thema Querfront.

Im Rahmen des Forschungsberichts Occupy Frieden wurden Teilnehmer*innen der Mahnwachen für den Frieden befragt und auf dieser Basis wurden unter anderem Rückschlüsse auf eine mögliche Querfront gezogen. Shahyar zitierte die Studie auf seinem Facebook-Profil. Allerdings ließ er dabei für ihn nicht genehme Textpassagen weg.

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Daraufhin antwortete Shahyar einer der Wissenschaftler die den Forschungsbericht herausgegeben haben:

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Unser letzter Artikel Pedram Shahyar und die Querfront wurde ebenfalls in diveren Facebook-Gruppen der Mahnwachen diskutiert. Einer der besonders krassen Kommentare aus der Facebook-Gruppe »Freundeskreis Montagsdemo Frankfurt« sei hier beispielhaft angeführt:

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Die Mahnwachen sind inzwischen weitestgehend eingeschlafen. Und aufgrund der mehr als zweifelhaften Umtriebe auf diesen Veranstaltungen ist das auch besser so. Eine progressive soziale Bewegung muss den »subjektillusorischen Charakter eines in Gang gesetzten wirtschaftlichen Effizienzsystems« erkennen »anstatt in kruden und rassistischen Vergeltungsphantasien einzelne Eliten mit vermeintlich angeschlossener Religionszugehörigkeit die historische Schuld für die Ungleichheiten dieser Welt in die allzu bekannten Schuhe zu schieben« und absurden Verschwörungsideologien anzuhängen, wie es die Website der linken Zeitschrift Potemkin in einem sehr lesenswerten Artikel zum Friedenswinter auf den Punkt bringt. Wenn wir Eines aus unserer deutschen Geschichte gelernt haben, dann ist es doch gerade die Tatsache, dass eine regressive Systemkritik unweigerlich in rechter Ideologie und somit in Barbarei mündet. Und diese Lektion mussten wir in Deutschland besonders schmerzhaft erlernen. Aus diesem Grund haben sich progressive Kräfte und die »alte Friedensbewegung« entweder von Anfang an oder mittlerweile aufgrund eigener Erfahrungswerte von den Mahnwachen distanziert. Auch Monty Schädel, der Politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), hat sich letztendlich nach einer anfänglichen Kooperation deutlich vom aus den Mahnwachen für den Frieden hervorgegangenen Friedenswinter abgegrenzt. Gegenüber der taz sagte er:

»Der Grundkonsens der Friedensbewegung war immer, dass sie internationalistisch, antimilitaristisch und antifaschistisch ist. Das muss wieder Konsens werden. Es gibt im Bundesgebiet eine Reihe von Aktivisten in der Friedensbewegung, die mit Leuten auf die Straße gehen, die sich zumindest nach rechts offen verhalten. In Halle standen vor zwei Wochen Redner auf der Bühne, die nationalistische Terroristen hochloben und Reichsbürgerpropaganda betreiben. Es ist indiskutabel, so etwas zu tolerieren. Der Friedenswinter war ein Versuch, der gescheitert ist.«

Auch bei Blockupy reagiert man skeptisch auf Kooperationen mit den Mahnwachen:

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Diverse Protagonisten der Mahnwachen für den Frieden engagieren sich ebenfalls bei Endgame. Darauf sind wir bereits in unserem letzten Artikel eingegangen. Beispielhaft sei hier das verschwörungsideologische Hip Hop-Duo Die Bandbreite genannt. Die Bandbreite betont immer wieder, dass sie sich als eine linke und antifaschistische Band versteht. Auf Facebook konnte man folgenden Kommentar dazu lesen:

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Zu welcher Antifa bekennt sich also Die Bandbreite? Das kann man auf diversen Endgame-Demonstrationen beobachten, wie beispielsweise hier in Hannover:

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Wojna (Die Bandbreite) am 14.03.2015 bei Endgame in Hannover.

Eine selbsternannte Antifa die Transparente mit nationalistischen Parolen wie »Schluss mit der Besatzung Deutschlands! Freiheit für das deutsche Volk!« hochhält, ist wohl eher ein schlechter Witz. Siehe dazu auch unser diesbezügliches Posting auf Facebook. Eine Antifa die generell gegen Nation, Staat und Kapital auftritt, zählt nach dieser Logik wohl per se zu den »Antideutschen«.

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Reichsbürger mit der Flagge Preußens und selbsternannte „Antifas“ mit nationalistischen Transparenten bei Endgame in Hannover.

Auch die Sängerin Maren Strassner, die unter dem Künstlernamen Morgaine auftritt und neben Die Bandbreite und Kilez More regelmäßig auf diversen Mahnwachen musiziert, hat einen geradezu paranoiden Verfolgungswahn vor »Antideutschen« (bzw. dem was sie für antideutsch hält) entwickelt. Beispielhaft sei hier auf einen Vorfall verwiesen, der sich im Rahmen ihres Crowdfunding-Projekts für ihr Musikalbum ereignet hat. Ein Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD) hatte der Musikerin 800 Euro zukommen lassen. Allerdings wollte sie das Geld nicht anehmen, da sie befürchtete, dass selbst die AfD durch Antideutsche unterwandert sei.

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Auch als ein Auto eines der Organisatoren der Mahnwache in Leipzig in Flammen aufgring, behaupteten Pedram Shahyar, Lars Mährholz, Ken Jebsen und andere Mahnwachen-Aktivisten unmittelbar nach dem Vorfall, dass es sich um einen Brandanschlag durch Antideutsche handeln würde. Bei einer durch die Polizei eingeleiteten Untersuchung des Autos hat sich anschließend herausgestellt, dass es sich lediglich um einen technischen Defekt handelte, der den Brand des Wagens verursachte. Siehe dazu hier, hier, hier und hier.

Natürlich wird auch Pedram Shahyar nicht müde permanent vor den Machenschaften der »imperialen Antifa« [sic] der Antideutschen zu warnen, die scheinbar überall ihre Finger im Spiel haben und hinter jeder Ecke lauern. Das hat mitunter zu einigen satirischen Auseinandersetzungen mit Shahyars Wahn geführt. Hier ein paar Beispiele die auf Facebook und diversen Blogs kursieren:

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Aber woher kommt nun eigentlich dieser Wahn vor den Antideutschen? Dazu ein Auszug aus dem Artikel Was heißt „antideutsch“?:

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Anmerkungen zur praktischen Bedeutung eines Kampfbegriffs

Ein Gespenst geht um in deutschen Internetforen, Blogs und Social Networks: das Gespenst des „Antideutschismus“.

Immer wenn irgendjemand kritische Anmerkungen zu verschwörungstheoretischen oder antisemitischen Thesen äußert, taucht seitens der Kritisierten früher oder später die Anschuldigung auf, der Betreffende sei wohl ein „Antideutscher“.
Offenbar soll damit zum Ausdruck gebracht werden, daß, wer den Antisemitismus kritisiert, in den Augen dieser Leute kein guter Deutscher sein kann.

Das Feindbild des bösen „Antideutschen“ findet sich sowohl im rechtsextremistischen Umfeld, etwa bei der NPD (N13, D17), als auch bei verschwörungsgläubigen Politsekten wie der BüSo (B25, S. 4ff) und den selbsternannten „Infokriegern“ der sogenannten „Wahrheitsbewegung“ (A24) bis hin zu sich als links verstehenden „antizionistischen“ und „antiimperialistischen“ Gruppierungen wie der „Arbeiterfotografie“ (A34) oder auch linksnationalistischen Querfront-Projekten wie Jürgen Elsässers „Volksinitiative“ (J10, J11).

Die wesentlichen Vorwürfe gegen die (oft als „krank“ und „pervers“ beschimpften) vermeintlichen „Antideutschen“ sind mangelnde Treue zu Volk und Vaterland, also zu wenig Nationalismus:
angeblich handelt es sich um Menschen, die ihre Heimat nicht genug lieben, ja sie sogar hassen, was sich darin ausdrücke, daß sie nicht nationalen Interessen dienten, sondern Handlanger volksfremder Mächte (womit Israel und die USA gemeint sind) und der internationalen Hochfinanz seien.

  • Bellizismus:
    angeblich handelt es sich um Verräter am grundsätzlich friedliebenden deutschen Volkscharakter, die die von volksfremden Mächten (siehe oben) betriebene weltweite Kriegstreiberei und imperialistische Eroberungspolitik befürworteten,
  • Linksextremismus:                                                                                                                      angeblich handelt es sich um gewaltbereite anarchistische Horden, die bei Demonstrationen gerne randalieren, Autos anzünden und Ruhe und Ordnung stören. Während dies bei Rechtsextremisten dem gängigen Klischeebild von der „roten Pest“ entspricht, versuchen jene Anti-Antideutschen, die sich selber als „links“ definieren, hier zu differenzieren, indem sie ihr Feindbild als „linksfaschistisch“ titulieren,
  • Philosemitismus, Rassismus, Islamophobie:
    angeblich handelt es sich um verblendet fanatische Israel-Unterstützer (vor der Gründung des Judenstaates hätte man diesen Vorwurf noch anders formuliert, da sprach man gerne von „Judenknechten“), was für die Anti-Antideutschen, die Israel gemeinhin als rassistischen Apartheid-Staat qualifizieren, nur ein Ausdruck einer schlimmen rassisitschen Gesinnung sein kann, ebenso wie das in ihren Augen mangelnde Verständnis für das emanzipatorische Potential des islamischen Fundamentalismus, das sie ebenfalls als Zeichen von Rassismus deuten, als ob der Islamismus eine „Rasse“ sei.

Das Feindbild „Antideutsche“ richtet sich also gegen vermeintliche vaterlandslose Gesellen, Kriegstreiber im Dienst fremder Mächte, Chaoten und Unruhestifter sowie Handlanger jüdischer Vorherrschaft: lauter klassische antisemitische Klischees!

Hat dieses Feindbild überhaupt irgendeine reale Grundlage?

Tatsächlich gibt es eine zahlenmässig bedeutungslose, dem autonomen Spektrum zuzuordnende betont antinationalistische linksintellektuelle Strömung, die sich in den Jahren nach 1989 entwickelt hat und sich selbst als „antideutsch“ bezeichnet.
Pikanterweise gehörte der heutige Anti-Antideutsche Jürgen Elsässer vor seiner Bekehrung zum Linksnationalimus einst zu ihren Gründervätern und soll sogar der Erfinder des Begriffes „antideutsch“ gewesen sein, den er damals noch positiv verstand, als eine notwendige Absage an einen neuen Nationalismus. Mittlerweile hat er seine Ansichten bekanntlich gründlich geändert.

Die reale antideutsche Strömung versuchte sich angesichts der Wiedervereinigungseuphorie kritisch mit der Problematik des deutschen Nationalismus sowie der damals beobachtbaren Zunahme rassistischer Übergriffe auseinanderzusetzen. Im Rahmen ihrer Nationalismuskritik entwickelte sie auch eine Sensibilisierung gegenüber den eng mit dem Nationalismus zusammenhängenden Phänomenen Antisemitismus und Antiamerikanismus, die auch in Teilen des linken Spektrums verbreitet waren und sind, was zum Zerwürfnis der betroffenen traditionslinken Strömungen mit ihren „antideutschen“ Kritikern führte. Einige sich als „antideutsch“ verstehende Splittergruppen radikalisierten ihre Kritik am linken Nationalismus in Folge dieser Konflikte bis hin zu tatsächlich fragwürdig erscheinenden Positionen (vgl. H19 u. K27).
Der Kampfbegriff „antideutsch“ richtet sich aber bei weitem nicht nur gegen diese reale, praktisch jedoch bedeutungslose Minderheit. Meist wird der Vorwurf vielmehr gegenüber Personen und Gruppen laut, die keineswegs dieser Strömung angehören oder auch nur nahestehen. Oft ist den so Gescholtenen nicht einmal deren Existenz bekannt.

Denjenigen, die diesen Begriff als Schimpfwort im Munde führen, geht es ja auch keineswegs um reale innerlinke Debatten und Richtungsstreitigkeiten. Von diesen haben sie auch in aller Regel kaum eine Ahnung, denn ihnen geht es um etwas anderes: ein griffiges Schlagwort zur Diskreditierung von Gegnern und Kritikern. Es geht ihnen nicht um eine differenzierte Analyse der Realität, sondern um die Erzeugung eines Feindbildes.

Da passt es ganz gut, daß sich selbst „antideutsch“ nennende Splittergruppen schon gelegentlich bei Demonstrationen linke Traditionalisten durch das Mitführen von Israel- und US-Flaggen irritierten und provozierten.

Da passt es auch ganz gut, daß die „antideutsche“ Strömung im Zusammenhang mit dem autonomen Spektrum auch schon mal in einem Verfassungsschutzbericht erwähnt wurde und dabei sogar von Gewaltbereitschaft die Rede war. In diesem Fall wird der Verfassungsschutzbericht auch gerne mal von Leuten zitiert, die sonst nicht so gut auf den Verfassungsschutz zu sprechen sind, weil sie in dessen Berichten ein paar Seiten weiter selber ausführlich Erwähnung finden.

Gegen wen wird das Schlagwort „antideutsch“ als Schimpfwort instrumentalisiert?

Das Urteil „antideutsch“ kann jeden treffen, der es wagt, sich öffentlich in irgendeiner Weise gegen Nationalismus, Rassismus, Verschwörungstheorien und Antisemitismus zu positionieren.
Es kommt vornehmlich aus dem Munde von Leuten, deren weltanschauliches Zentrum jene Spielart des Antisemitismus bildet, die sich selbst gerne als „Antizionismus“ bezeichnet. Diese bildet nämlich das gemeinsame Bindeglied zwischen „Antiimperialisten“ und „Friedensfreunden“ aus der rechten wie aus der linken Ecke bis hin zu jenen Vertretern des verschwörungstheoretischen Narrensaums, die von sich behaupten weder links noch rechts zu sein, sondern diese in ihren Augen unzeitgemässe und die Einheit der Volksgemeinschaft unnötig spaltende Unterscheidung hinter sich gelassen zu haben.

Praktisch alle, die andere als „antideutsch“ beschimpfen, sehen sich selber als „antizionistisch“.
Hier wird also eine Polarität zwischen Antizionismus und Antigermanismus postuliert, d.h. ein absoluter Gegensatz zwischen Juden und Deutschen.
Wer nicht gegen Israel ist, der muß gegen Deutschland sein.
Der „Zionist“ genannte (böse) Jude (oder „Judenfreund“) steht gegen den (guten) Deutschen.
Der Antipode des guten Deutschen ist der böse Antideutsche: das Gegenteil eines Deutschen, ein Verräter und Feind des (deutschen) Volkes.
Dieses Weltbild unterscheidet sich nicht mehr von dem eines Houston Stewart Chamberlain oder eines Alfred Rosenberg!

Man kann daraus mit Fug und Recht die Schlußfolgerung ableiten: wann immer jemand gegen sogenannte „Antideutsche“ zu Felde zieht, dann haben wir es in der Regel mit einem völkischen Nationalisten und weltanschaulichen Antisemiten zu tun. Ob er sich selbst so definiert und das offen zugibt oder ob er es zu kaschieren versucht, weil er sich als „Linker“ mißverstehen will: die Sprache entlarvt sich selbst und die Wortwahl offenbart das dahinter stehende Weltbild.

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Quelle: http://www.antifaschismus2.de/argumente/gegenargumente/251-was-heisst-antideutsch